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Poor Genetic Material: Etwas anderer Prog

DURP - eZine from the progressive ocean

Interview

Man mag darüber streiten, ob es dem deutschen Prog nun gut oder schlecht geht, Fakt ist, dass es immer wieder interessante Veröffentlichungen aus dem Underground gibt. Poor Genetic Material – kurz PGM genannt – zählen dazu. Eigentlich als Duo – bestehend aus Stefan Glomb an der Gitarre und Philipp Jaehne an den Keybordas – vor drei Jahren gegründet, ist man, was das aktuelle dritte Album "Summerland" angeht, eine "richtige" Band geworden, verstärkt durch die beiden Alias Eye Mitglieder Philip Griffith (Vocals) und Ludwig Benedek (Drums). Renald Mienert unterhielt sich mit Philipp Jaehne

Haben die Bands, in denen ihr vor PGM gespielt habt, irgendwelche Erfolge gehabt?

Eskape, die unmittelbare Vorgänger-Band von Poor Genetic Material, hatte sehr großen Erfolg mit ihrer ersten CD "the Serpent", dem Soundtrack zu einem Performance Theaterstück. Viele Zuschauer konnten damals mit dem sehr eigenwilligen Stück wenig anfangen, waren aber von der Musik begeistert. Obwohl die CD längst vergriffen ist, werden auch heute immer noch darauf angesprochen.

Der Nachfolger zu "The Serpent", "Sharp Bends Sudden Crests" litt leider unter der nicht gerade geglückten Produktion. Wir hatten damals einfach nicht die Mittel, Schlagzeug und Gesang ordentlich aufzunehmen. Die Song-Ideen halten wir nach wie vor für gut, so dass wir immer mal wieder ein Stück dieser Platte neu arrangieren und aufnehmen werden.

Für welche Projekte fand das Material eurer beiden ersten Alben Verwendung?

Im Anschluss an "The Serpent" kamen eine Reihe von Anfragen, Musik für Performance Gruppen zu schreiben. Sehr unterschiedliche Sachen, von experimentellem, zeitgenössischen Theater bis zu einer "Faust-Inszenierung". Es war für uns sehr interessant zu sehen, welche Wirkung unsere Musik im Zusammenhang mit der Bühnengeschehen erzielen konnte. Zu dieser Zeit gab es auch den einzigen Live-Auftritt von PGM: Die Veranstaltung nannte sich "Nacht der Poesie" – fand in einer vollbesetzten Kirche statt – und wir haben die Performance einer Gruppe frei improvisierend begleitet. Da die Schauspieler ebenfalls viel Improvisationsspielraum hatten, mussten wir unmittelbar auf das, was auf der Bühne passierte, reagieren. Man kann sich leicht vorstellen, wie intensiv so etwas ist, besonders einem solchen Rahmen. Wir haben das übrigens auf DAT mitgeschnitten und das Ganze endete unter dem Titel "Open" auf "Free to Random vol 1", wurde dort allerdings in mehrere Teile zerschnitten.

Songorientiert heisst ja nicht zwangsläufig mit Gesang - warum also die Entscheidung nun mit Vocals zu arbeiten?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich in der Rockmusik, auch im Progressive Rock, nicht viele rein instrumentale Projekte kenne, die ich auf Dauer wirklich interessant finde. Im Jazz oder in der Klassik ist das was anderes. Auch lange Instrumentalpassagen oder einzelne Instrumentalstücke sind natürlich absolut essentiell, und die wird’s bei uns auch immer geben. Aber die Stimme gibt dem Ganzen schon einen besonderen Reiz. Außerdem ermöglicht sie Formen, die ohne Gesang nicht möglich wären. "Wouldism" oder "Just another me" ohne Gesang gingen ganz einfach nicht. Solche Stücke werden einfach vom Sänger getragen. Zumal dann, wenn man einen Sänger wie Philip Griffiths hat.

Ist es einfacher zu zweit oder zu viert Songs zu schreiben?

So viel hat sich da gegenüber unserer alten Arbeitsweise noch gar nicht geändert. Beim Schreiben arbeiten zunächst nur Stefan und ich zusammen,. Philip kommt erst später dazu, wenn die Struktur des Stückes schon weitgehend steht, und arbeitet die Gesangslinien aus. Daraus resultieren natürlich noch einmal Änderungen der ursprünglichen Ideen, aber schwieriger geworden ist der ganze Prozess dadurch nicht. Eigentlich eher einfacher, da man in diesem Stadium leichter erkennt, wo etwas gefehlt hat oder in eine falsche Richtung gelaufen ist. Ludwig, unser Drummer, ist beim eigentlichen Song-Schreiben ja nicht direkt beteiligt. Er kommt natürlich dazu, wenn’s ans Arrangieren geht und das kann eh nur in voller Bandbesetzung erfolgen

Hättet ihr euch angesichts der stilistischen/personellen Wechsels nicht auch umbenennen können?

Hatten wir ursprünglich vor. Aber zunächst hat jeder, den wir gefragt haben, gesagt "Bloß nicht! Das ist endlich mal ein witziger Name, den müsst Ihr beibehalten." Dann haben wir uns überlegt, dass es doch gerade reizvoll ist, wenn von einer Band Musik aus zwei völlig unterschiedlichen Richtungen kommt. Vielleicht kann man das Schubladendenken so ein wenig aufbrechen und auch mal in andere Musikrichtungen reinhören.

Findet ihr es schade, dass es keine Gigs mit euch geben wird?

Natürlich. Wär schon schön, das Material live zu spielen. Die Konzert-Szene birgt zur Zeit zwar auch viel Frust. Wenn ich mir z.B. überlege, dass Alias Eye, die überall begeisterte Reviews haben und live fantastisch sind, z.T. Konzerte vor 50 Leuten spielen, stellt sich schon die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Reizvoll wär’s aber in jedem Fall, aber es geht halt nicht. Wenigstens haben wir so mehr Zeit, an neuen Stücken zu arbeiten und das entschädigt ein wenig.

Wie sind die tollen Fotos für das Artwork entstanden, und nach welchen Aspekten habt ihr sie für das Cover ausgewählt?

Die Bilder stammen fast alle aus Australien, wo ich den Winter 99/2000 verbracht habe. Ich habe sie dabei durchaus schon mit dem Hintergedanken gemacht, sie irgendwann einmal für ein Album-Cover zu verwenden. Für die endgültige Auswahl haben wir dann für jedes Stück ein Bild gesucht, das die jeweilige Atmosphäre ausdrücken konnte. Wobei diese Atmosphäre ja durchaus zwiespältig ist: während in der Musik wohl die schönen Momente überwiegen, sind die Texte doch eher düster. So war es uns auch wichtig, Bilder auszuwählen, die in ihrer Stimmung schwer festlegbar sind.

Wie reagiert ihr auf die vielen Versuche euch zu kategorisieren?

Das ist manchmal schon sehr amüsant. Wenn man alle unsere Alben zusammen betrachtet, ist’s eh unmöglich. Aber auch für "Summerland" allein liest und hört man teilweise Abenteuerliches. Allein schon, welche Vergleiche mit anderen Bands da angestellt wurden – von Camel, frühe Genesis über Talking Heads, 80er King Crimson zu Police zu Brian Eno und schließlich zu Kraftwerk(??) – Reden die alle von der gleichen Platte? Dann die berühmte Schubladenfrage "Ist das überhaupt Prog oder nicht doch eher Melodic Rock? Manche Songs sind schon Prog, andere wieder nicht ..." Was soll die Frage? Darf es mir etwa nicht gefallen, wenn’s kein Prog ist? Zum Glück waren derartige Fragen aber eher die Ausnahme, die meisten fanden es gerade gut, dass auf "Summerland" nicht nur Prog-Erwartungen bedient wurden, sondern auch andere Stile einfließen.

Gibt es so etwas wie einen "Schlüsselsong" auf dem Album?

Definitiv der Titelsong. Der klingt ja in kleinen Vorab-Zitaten auch schon in den anderen Stücken an. (Hat allerdings bis jetzt keiner gemerkt.) In jedem Fall ist es das Stück, auf das die anderen zulaufen. Ich denke aber, man muss das Album wirklich im Zusammenhang hören, damit die einzelnen Stücke wirklich Sinn machen.

Kannst Du zu den einzelnen Songs ein paar Worte verlieren?

"Shooting Psycho", der Opener, scheint ja zunächst etwas aus dem Rahmen zu fallen, stellt tatsächlich aber die Klammer zum Titelstück dar. Musikalisch klingen hier einige Motive schon an und textlich geht es ja in beiden um Menschen in "außergewöhnlichen Geisteszuständen".

Bei "Wouldism" hat so mancher gewisse Camel-Einflüsse festgestellt. Und diese Einordnung kann ich dann auch tatsächlich nachvollziehen.

"Living Desert" könnte auch von einem der "Free to Random" Alben sein. Können die Progis wohl wenig anfangen, dafür hat es eine Instrumental-Version des Stückes bei mp3.com bis in die Top 20 der New Age (?!) Charts gebracht.

"Just Another Me" war das härteste Stück Arbeit von allen. Das Stück klingt jetzt so einfach und eingängig - könnte man sich glatt im Radio vorstellen. Aber bis das so war ... eine Höllenarbeit! Seitdem ist mein Respekt vor Stücken, die man gerne etwas abfällig mit "naja, die Single halt" betrachtet, deutlich gestiegen.

"Secret Song" hat die gegensätzlichsten Reaktionen hervorgerufen. Einerseits wird der "wubderbare, schwebende Refrain" hervorgehoben, andererseits die "monotone, roboterartige Strophe" verdammt. Dabei gehört beides essentiell zu diesem Stück, genau von diesem Gegensatz, der sich im Übrigen vom Text her erklärt, lebt es.

Die Fassung von "Late", die jetzt auf dem Album ist beruht auf einer live eingespielten Improvisation, die ursprünglich ungefähr dreimal so lang war. Das Gitarrensolo und die Keyboards des zweiten Teiles sind noch die Originaltracks dieser Live-Aufnahme.

Seid ihr mit eurer Situation als Musiker zufrieden?

Ja, sind wir! Das mag überraschen, angesichts der musikalischen Wüste, in der wir leben. Aber wir sind tatsächlich froh, dass wir mit der Musik, die wir machen, nie vor der Frage gestanden haben, ob wir das vielleicht professionell machen wollten. Mein Vater war professioneller klassischer Musiker und ich habe da erlebt, wie im Beruf der Spaß an der Musik fast verloren gehen kann. Im heutigen Musikbusiness wäre das noch viel schlimmer. So wie wir arbeiten, haben wir alle Freiheit dieser Welt. Wir können exakt die Musik machen, die wir machen wollen. Wenn es ein paar Menschen gibt, denen das gefällt, ist das toll, über das Feedback zu "Summerland" freuen wir uns riesig. Wenn’s aber irgendwann einmal anders ist und keiner unsere Musik hören will, müssen wir deshalb keine Kompromisse machen, nur weil wir existentiell darauf angewiesen wären.

Wird sich das nächste Album grundlegend von diesem unterscheiden?

Auf "Summerland" liegt der Schwerpunkt ja eindeutig auf den ruhigen Sachen. Das wird beim nächsten Album sicher ausgewogener. Es wird ein paar mehr zupackendere Stücke geben und insgesamt werden Schlagzeug und Bass eine stärkere Rolle spielen – Ludwig wird stärker eingebunden und sehr wahrscheinlich nehmen wir einen Bassisten an Bord. Stefan’s und meine "Roh-Skizzen" sind weitgehend fertig. Jetzt kommen die beiden Alias Eyes und der angesprochene Bassist dazu, da wird es sicher auch für uns noch die eine oder andere Überraschung geben.

Kontakt: www.quiXote-music.de


© 05/2002 Renald Mienert
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