progressive Interview , progressive band talk Everon: So gut wie nie |
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Interview |
Die Kritiken zu dem jüngsten, mittlerweile vierten, Studio-Album von Everon waren allerorten euphorisch - und das völlig zu recht. Schon immer eine Klasse für sich, gelang es den Deutschen locker, mit "Fantasma" die Vorgänger-Alben zu toppen.
Renald Mienert unterhielt sich mit Drummer Christian "Moschus" Moos
Auf den ersten Blick könnte man meinen, "Fantasma" wäre wieder eines dieser Alben aus dem Fantasy oder Science Fiction - Umfeld - aber weit gefehlt. Der Titel des Albums kommt aus dem Spanischen und heisst auf deutsch "Geist". Zunächst sollte es "Ghost" heißen, aber dann veröffentlichten Rage eine CD mit diesem Titel und man folgte dann dem Vorschlag einer Freundin und entschied sich für diese Variante. Und was die Texte angeht, widmet man sich primär dem Thema Trennung, unter anderem verarbeitet Oliver Philipps das Ende einer langjährigen Beziehung. Also nichts da von wegen Tolkien. Freilich kann man keinem einen Vorwurf machen, wenn er bei dem Titel und dem Artwork an Fantasy denkt.
Das ist natürlich auch immer eine Frage der Interpretation, wie du jetzt Fantasy definierst. Also wenn unsereiner an Fantasy denkt, dann denkt man immer Herrn der Ringe, an Feen und Elfen. Wir kennen die Jungs von Blind Guardian ziemlich gut, wir haben in drei Proberaumzentren zeitgleich geprobt, und was die machen, ist eben voll diese Fantasy - Schiene. Sie machen das auch wirklich gut, nur, dass wir mit diesen Sachen überhaupt nichts am Hut haben. Was unsere Cover angeht, ist Gregory eher im Bereich Science Fiction und Surrealismus anzusiedeln, natürlich kann man sagen, dass auch hier eine Nähe zur Fantasy besteht, aber nur weil wir eine geflügelte Meerjungfrau im Bandlogo haben, ist das noch lange nicht Tolkien. Ein schönes Cover mit einer Phantasiewelt ist ja auch nichts schlechtes, aber wie gesagt, wir wollen nicht in diese klassische Fantasy-Ecke gesteckt werden.
Mit dem neuen Album begann sich nun erstmals auch bei Everon das Besetzungskarussel zu drehen, man musste sich von Gitarristen Ralf Janssen trennen, was der Band aber gar nicht so leicht viel.
Mit unserem ehemaligen Gitarristen habe ich gemeinsam angefangen Musik zu machen, von daher tat mir die Trennung schon leid. Wir haben über zehn Jahre zusammen gespielt und es ist auch lange gut gelaufen, aber er hatte einfach irgendwann keine Power mehr. Bereits bei den Aufnahmen zu "Venus" haben wir gemerkt, dass bei ihm die Luft raus war. Ich habe ihn dann darauf angesprochen, er würde sich ja gar nicht mehr sehen lassen, aber es hat ihn schon alles nicht mehr interessiert, zum Beispiel wie denn nun die fertigen Aufnahmen klingen und diese Dinge. Ich hab ihm dann quasi den Wurm aus der Nase gezogen, ob er denn überhaupt noch Lust hätte, und darauf hin kam die lapidare Antwort, vielleicht sucht ihr euch schon mal einen neuen Gitarristen.
Und diese Suche erwies sich als gar nicht so einfach....
Wir haben lange nach einem Ersatz gesucht, auch über Anzeigen in diversen Magazinen und es haben sich auch einige gemeldet. Den einen hätten wir ganz gerne gehabt, aber es war halt nicht seine Musik, mal hätte es ein anderer gerne gemacht, aber er war nicht unser Typ, aber über Bekannte haben wir dann den Ulli kennengelernt. Um ehrlich zu sein, er war eigentlich zunächst wirklich nicht unser Wunschgitarrist, er kommt auch aus einer ganz anderen musikalischen Ecke. Er ist zwar ein ausgezeichneter Gitarrist, hat aber mit Metal zum Beispiel gar keine Erfahrungen. Folglich hat er am Anfang auch richtig Scheiße fressen müssen, um sich das ganz Zeug reinzuziehen. Die Zeit dafür hat er auch wirklich nur bekommen, weil halt kein anderer da war. Aber das ist vorbei, mittlerweile gehört er auch fest zur Band und ist nicht mehr nur der "Neue".
Und auch wenn das im Booklet des neuen Albums noch nicht erwähnt ist, mittlerweile hat man sich einen fünften Mann ins Line Up geholt.
Der zweite Oliver hat von uns gleich einen Spitznamen gekriegt, der heisst Haary, wir nennen ihn auch unseren Quotenmann. Wir haben ja in der Band nun alle eher sehr wenig Haare, und da brauchten wir nun in der Band unbedingt einen fünften Mann, der diesem Klischee vom langhaarigen Rocker entspricht. Oliver (also jetzt der mit den wenig Haaren) war einfach live damit zu sehr belastet, all diese Dinge unter einen Hut zu kriegen, Gitarre, Keyboards und Gesang ist ja nun auch wirklich etwas viel. Der neue kommt auch von einer benachbarten Band hier um die Ecke, allerdings ist er da mittlerweile ausgestiegen, wenn auch nicht wegen Everon. Er passt aber so gut in die Band, dass er eigentlich aus unserer Sicht mittlerweile auch ein vollwertiges Bandmitglied ist. Technisch ist er zwar zumindest jetzt noch nicht so gut wie der Oliver und spielt schon noch die einen oder anderen Eier, aber das ist uns egal. Irgendwo wollen wir ja auch einfach nur eine Band sein. Wenn wir auf die Bühne gehen, dann haben wir nicht unbedingt den Anspruch an totale Perfektion, auf keinen Fall wollen wir so was machen, was aussieht wie "von Schlaumeier für Schlaumeier". Da gibt es andere Bands, die können wir ohnehin nicht toppen. Wir versuchen halt, unsere Songs mit dem entsprechenden Gefühl rüberzubringen, und wenn dann einer was zu kacken hat, dann tut uns das leid, besser haben wir es halt nicht hingekriegt.
Everon werden - und das aus meiner Sicht völlig zurecht - in den meisten Fällen in die Prog-Schublade gesteckt, womit die Band aber nie so richtig glücklich war - allerdings kann sie damit leben, und es hätte schließlich auch noch schlimmer kommen können....
Es soll nicht so aussehen, als hätten wir absolut keinen Bock auf die Progszene. Die Progger haben uns damals mit offenen Armen aufgenommen und die haben uns auch mit groß gemacht. Ich empfinde auch "Paradoxes" als unser "progressivstes" Album, weil wir uns damals wohl auch noch eher an der einen oder anderen Band orientiert haben. Heute würden wir sowas nicht mehr machen, für die damalige Zeit war es ein sehr schönes Debüt. Wir raten jeder Band, sich selbst eine entsprechende Schublade zu suchen, bevor sie anfängt, ihre Demos zu verschicken. Macht man es nicht selbst, macht es dann vielleicht irgendeiner, und schont landest du in einer Ecke, auf die du vielleicht gar keinen Bock hast. Das ist dann tödlich, wenn dich plötzlich jemand mit den Scorpions vergleicht, mit denen du gleich gar nichts am Hut hast. Da sage ich dann lieber, wir machen Musik im Stil von dem oder dem, und geben dem Schreiberling dann schon mal die Richtung vor.
Bei Everon war es von Anfang an so, dass für Songs und Texte Oliver Philipps verantwortlich war. Und damit kann die ganze Band hervorragend leben....
Wir sind keine Band, in der die einzelnen Musiker sagen, zwei Songs auf der Platte müssen von mir sein. Bei uns schreibt nun mal der Oliver die Songs, er kriegt auch die Tantiemen, alles andere was reinkommt, wird geteilt - wenn noch was übrigbleibt, was so gut wie nicht vorkommt, da ja davon die Produktion bezahlt wird. Ich bin glücklich, in einer Band zu spielen, die einen solchen Ausnahmemusiker wie Oliver vorweisen kann. Da kannst du fragen, wen du willst, jeder der Oli kennt, wird dir bescheinigen, dass er ein absolutes Genie ist - und dabei ist er zum Glück auch nicht so arrogant, dass er mit der Nase an der Decke kratzt. Wenn jetzt vier Mann anfangen würden, mittelprächtige Songs zu spielen - wenn sie die denn überhaupt hinkriegen würden - und der fünfte schreibt Titel, die immer definitiv besser sind, dann muss ich als Band doch so schlau sein, und auch nur die wirklich guten nehmen. Der Oliver ist nun mal der kreative Kopf der Band, da gibt es überhaupt keine Diskussion. Wenn aber morgen ein anderes Mitglied kommt und hat über Nacht eine Eingebung gehabt, da würde Oliver garantiert sagen, das ist geil, lass uns das nehmen. Freilich muss es in jedem Fall zu Everon passen. Eigentlich kommen in Sachen Songwriting ja nur noch die beiden Neuzugänge in Frage, aber die müssen sich wohl noch eine Weile an den Everon-Sound anpassen, bevor sie Songs schreiben, die auch wirklich nach Everon klingen. Immerhin werden wir als Live-Intro ein Stück unseres neuen Keyboarders nehmen, der macht Synthesizer-Musik, die ein wenig nach Siebziger Jahre klingt. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil er noch sehr jung ist, und diese Szene eigentlich gar nicht kennen kann. Was die Texte angeht, kommen wir schon mal gar nicht an Oliver ran. Du kannst nur Texte mit einem solchen Tiefgang schreiben, wenn du wirklich perfekt englisch sprichst. Es ist ja auch nicht so, dass Oliver alles vorkaut. Die Songs werden bei uns immer per Sequenzer vorarrangiert. Ich spiele dann die richtigen Drumparts, wobei Oliver mittlerweile meinen Stil schon so gut programmieren kann, er weiss praktisch schon, wie ich bei den jeweiligen Parts trommeln würde. Dann folgen die anderen Insrumente und wenn dann alles perfekt klingt, überlegen wir uns, wie wir das Zeug auf die Bühne kriegen. Viele Bands proben ja vorher, gehen dann ins Studio und nehmen generell nur dass auf, was sie live auch spielen können.
Und in der Regel stellt sich dann heraus, dass man die meisten Sachen auch live realisieren kann, immerhin hat man auch reichlich Technik am Start.
Den Mittelteil von "Fantasma" - "The Real Escape" - den können wir live natürlich so nicht umsetzen, mit Orchester und Cello. Da müssten wir die Leute ranschaffen, und das können wir uns nicht leisten. Dieser Teil wird dann Playback gespielt, wir verlassen bis auf Oliver die Bühne und der singt dann dazu. Bei "Whatever It Takes" kommen wir dann wieder...
Wo wir schon mal beim Cello sind, hier noch einige Infos zu den Gastmusikern
Den Cellisten kennen wir eigentlich gar nicht näher. Er ist Profimusiker, arbeitet viel für Musicals, hat seinen Part gespielt, Geld dafür gekriegt und das war's. Axel, den Geiger, kennen wir schon länger, er war bei M Walking On The Water, einer Krefelder Ethno-Pop Band. Wenn wir mal eine Geige brauchen, dann holen wir ihn. Der Tom, der die akustische Gitarre spielt, ist eigentlich Bassist in einer regionalen Band. Wir hatten davon Null-Ahnung und ziemliche Probleme, die klassische Gitarre einzuspielen, aber der Gitarrist besagter Band hat uns dann auf Tom gebracht. Der hat immerhin zweimal bei "Jugend musiziert" gewonnen und stand dann natürlich ruckzuck bei uns auf der Matte.
Neben den eigentlichen Bandaktivitäten hat sich auch das eigene Studio mittlerweile einen guten Ruf erworben, wobei im Spacelab auch häufig härtere Bands produziert, die mit Prog nichts zu tun haben. Eine ausführliche Referenz-Liste findet man im Internet unter www.everon.de, der ausgesprochen professionell gestalteten Homepage von Everon.