progressive Interview , progressive band talk

Anekdoten: Musik, die erzählt

DURP - eZine from the progressive ocean

Interview

Nachdem vor einigen Wochen das dritte Album von ANEKDOTEN veröffentlicht wurde, wird es Zeit, die Skandinavier ein wenig näher vorzustellen. Immerhin sind sie ein heißer Favorit für alle Fans von düster-schrägen Progklängen. Jan Erik and Nicklas antworteten Renald Mienert.

In Reviews liest man häufig Vergleiche zu Bands wie King Crimson, und das sicher auch zurecht. Betrachtet man die übrigen Favoriten der Bandmitglieder so findet man dort schon ganz erstaunliches...

Nicklas: Wir hören ein wirklich breites Spektrum unterschiedlichster Musik und natürlich haben alle diese Künstler uns beeinflusst. Um nur ein paar zu nennen: Magma, Van Der Graaf Generator, Arvo Pärt, Massive Attack, Motorpsycho, Tim Buckley, Motorhead, King Crimson, Sun Ra und viele andere....

Wie entstehen eure Songs?

Nicklas: Ich glaube, es geht bei uns ziemlich demokratisch zu. Ich versuche gerne ANEKDOTEN wie einen lebenden Organismus zu betrachten, jeder hat seine Aufgabe und jeder ist gleichermaßen wichtig. Normalerweise hat jemand aus der Band eine Idee und dann improvisieren wir um einen bestimmte Stimmung zu erzeugen und die passende Instrumentierung zu finden. Wenn das erledigt ist, werden die einzelnen Teile sortiert, so daß ein "richtiger" Song daraus wird. Häufig gibt es sehr viele Änderungen an einem Song, bis er schließlich fertig ist. Wir versuchen, die neuen Stücke zunächst auf unseren Konzerten zu spielen, daß sie uns sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen sind, bevor wir sie aufnehmen. Jan Erik kümmert sich um die Texte.

Jan Erik: Und diese entstehen immer erst nach der Musik. Manchmal habe ich sehr schnell eine ganz klare Vorstellung über die textlichen Inhalte und manchmal muß ich die Songs sehr lange verinnerlichen, bevor ein passender Text einfällt.

Was das Artwork eures neuen Albums betrifft, so wirkt zwar durchaus professionell, aber doch sehr minimalistisch....

Nicklas: Ich glaube, wir hatten alle das Gefühl, es mit dem Cover für "Nucleus" ein wenig übertrieben zu haben. Das sollte uns mit "From Within" nicht passieren,- Ich persönlich liebe es sehr, ich glaube, es entspricht genau unsere Musik.

Jan Erik: Anna Sofi entwirft unsere Cover und dieses Artwork war ihre Idee. Es hat etwas von: Laß dieses Mal einfach die Musik erzählen! Die Musik von "From Within" hat mehr Tiefe als die auf "Nucleus" und genau das wird durch das Cover unterstützt

Wenn ihr eure drei Alben betrachtet, würdet ihr sagen, daß es dort so etwas wie eine kontinuierlicher Entwicklung gegeben hat?

Nicklas: "Vemod", unser Debüt war sehr stark von King Crimson beeinflusst. Wir waren sehr unerfahren was den Aufnahmeprozess betraf und ich glaube, die Versionen, die schließlich auf das Album gelangten, waren nicht unbedingt optimal. Aber dennoch mag ich einige von ihnen heute immer noch. Man muß auch bedenken, daß Aufnahmen und Mix insgesamt nur zehn Tage gedauert haben. "Nucleus" ist ein ziemlich schizophrenes Album. Wir haben ziemlich viel in die Arrangements investiert und de Aufnahmen haben über drei Monate gedauert. Es ist wohl unsere "extremste" Platte bisher. Das neue Album ist in einer gewisse Weiser melodischer. Die Songs sind ausgedehnter und härter.

Jan Erik: Viele Leute haben gesagt, "From Within" hat wieder mehr Ähnlichkeiten mit "Vemod" als mit "Nucleus". Wir hatten auch die Erfahrung gemacht, daß die Stücke von "Vemod" live generell besser ankamen als die von "Nucleus". Die Stücke auf "Nucleus" sind schon eine echte Herausforderung - sowohl was das Spielen angeht als auch das Zuhören.

Wie lief die Produktion des neuen Albums?

Nicklas: Wir waren sehr glücklich, wieder mit Simon Nordberg zu arbeiten. Er hat uns bereits bei "Vemod" geholfen und fungiert nun als Hauptproduzent. Ich glaube, der Sound des neuen Albums steht uns sehr gut. Die Aufnahmen entstanden in einem der besten Analog-Studios Schwedens. Das Mischpult und ein Menge des Equipments stammen noch aus den frühen Siebzigern. Das und ein sehr großer Aufnahmeraum gaben uns das erste Mal das Gefühl eines sehr natürlichen Sounds im Studio. Wir haben nur einen Monat gebraucht, es ging also schneller als bei "Nucleus". Bis auf die Vocals, Keys und das Cello wurden die Songs mehr oder weniger live im Studio aufgenommen. Die Overdubs machten wir in unserem Proberaum. Die Songs sind was mich angeht die besten, die wir je gemacht haben. Es ist das erste Mal, dass wir ein Album gemacht haben, das ich mir anhören kann und es gefällt mir.

Habt ihr eigentlich von Anfang an vorgehabt, auch die ganzen Dinge wie Produktion, Management und Vertrieb selbst zu managen oder hat ihr Einfach aus der Note eine Tugend gemacht, weil ihr keinen Deal bekommen konntet?

Nicklas: Beim ersten Album hatten wir Angebote von elf Plattenfirmen, aber wir haben sie abgelehnt, und es in Eigenregie veröffentlicht und ich denke, es war eine gute Entscheidung. Wir haben eine Plattenfirma in Japan, Disk Union, aber das ist etwas besonderes. Wir kommen gut miteinander aus. Es ist ein schönes Gefühl, alle Dinge selbst in der Hand zu haben, und machen zu können, was man will. Wir kennen viele Bands, die Ärger mit Plattenfirmen haben, allerdings wäre ein professionelles Management nicht schlecht.

Jan Erik: Alle Dinge, die ein Teil davon sind, die Musik an den Zuhörer zu bringen - zum Beispiel auch dieses Interview - können in der einen oder anderen Form auch das Musikmachen selbst beeinflussen. Oft müssen Entscheidungen getroffen werden, häufig geht es dabei um finanzielle Dinge. Natürlich hätten wir gerne mehr Promotion, würden mehr live spielen und mehr Alben produzieren, aber so lange wir nicht von der Musik leben, geht eben nur soviel, wie wir Zeit und Energie für die Musik aufbringen können. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht. Vielleicht erhalten wir uns ja auf diese Weise unseren Enthusiasmus und bleiben als Band länger bestehen.

Welche Kompromisse würdet ihr machen, um eure Karriere voranzutreiben?

Nicklas: Ich glaube nicht, dass wir jemals Kompromisse machen werden, was die Musik angeht. Kompromisse gibt es eher auf anderen Gebieten, zum Beispiel, um noch mehr in Musik und Touren zu investieren - um das zu können, muß man Entscheidungen treffen. Zum Beispiel seinen Full-Time-Job aufgeben, was wiederum bedeuten kann, daß man mit weniger Geld auskommen muß. Es ist ein Frage des Gleichgewichts. Es gibt viele andere Dinge im Leben, die ebenfalls wichtig sind, und auch die Musik hat dort ihren Platz. Man kann nicht alle seine Bedürfnisse aufgeben, nur um Musik zu machen. Aber sie ist nun mal da in deinem Kopf und muß irgendwie raus.

Jan Erik: Wir sind in der glücklichen Situation, dass uns keiner vorschreibt, was zu tun ist. Wie gesagt, haben wir alle Dinge in unseren eigenen Händen, also müssen wir auch keine Kompromisse schließen außer jeder für sich selbst und innerhalb der Band. Was letzteres angeht, ist es gelegentlich schon mal schwierig, eine musikalische Idee den anderen schmackhaft zu machen, weil die ja nicht so sehr damit vertraut sind, wie der eigentliche "Erfinder". Manchmal besteht ein Kompromiss dann auch einfach darin, daß aus einer Idee kein Song wird, weil die anderen sie nicht gut genug fanden.

Wie möchtet ihr euch weiterentwickeln?

Nicklas: Das ist schwer zu sagen, aber hoffentlich werden wir uns als Songschreiber weiter entwickeln, als einzelne Musiker und als Band. Ich persönlich möchte zukünftig mehr Improvisieren, da ich gegenwärtig eine Menge Free Jazz höre.

Nicklas: Zumindest möchte ich nicht wirklich einen stilistischen Wechsel. Aber es wird immer neue Einflüsse geben, die sich auf unsere Musik auswirken werden. Das hoffe ich zumindest. Wir sagen ja nicht, wir möchten jetzt mal so oder so klingen, es passiert einfach. Veränderungen sind sehr wichtig für uns, sonst wäre das Musizieren irgendwann einmal eine sehr langweilige Geschichte.


© 04/2000 Renald Mienert
DURP - eZine from the progressive ocean
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