Keyboards findet man heute fast in jedem Kinderzimmer. Und
ohne Sequenzer wäre uns die gesamte Techno-Szene vermutlich
erspart geblieben. Wer wissen will, wer Schuld an allem ist, der
möge diesen Artikel lesen. Renald Mienert unterhielt sich mit
Jerome Froese, dem Sohn von Edgar Froese, der vor dreißig
Jahren Tangerine Dream gründete, eine Band, die heute immer
noch ganz vorn in der Liga der elektronischen Rock-Musik mitspielt.
Dabei erwies sich der Junior bestens informiert über
Ereignisse, die zum Teil stattfanden, als er noch gar nicht geboren
war.
Heute ist Tangerine Dream ja selbst schon Legende. Vor dreißig
Jahren hatte dein Vater jedoch Gelegenheit, eine der schillerndsten
Persönlichkeiten der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts
überhaupt kennenzulernen. Was muß ein Student 1967 tun,
um von Salvador Dali eingeladen zu werden?
Edgar hat damals Malerei und Bildhauerei studiert. Einer
seiner Studienkollegen hat sich bei Dali als Schüler beworben
und ist tatsächlich angenommen worden. Dali hat dort solche
komischen Feten organisiert und dieser Kollege hat Edgar eingeladen,
diese mit Musik zu untermalen. Damals hat Edgar allerdings noch mit
seiner alten Band gespielt - The Ones. Daraus entstand dann ein
ziemlich enger Kontakt, man kann fast sagen, sie wurden Kumpel.
Wenn ich die frühen Sachen anhöre, solche Titel wie
Zeit, Wahn, Alpha Centauri, das war alles noch sehr experimentell
und es gab kaum wirkliche Melodien. So etwa 1973 gab es dann aber
einen ziemlichen Sprung in der Entwicklung. Ich glaube Phaedra
kann hier als Beispiel gelten. Wie seht ihr heute diese frühen
Alben? Waren sie eine Art notwendige Vorstufe für den typischen
TD-Sound?
Wenn ich mir Grimoire so anschaue, wären eigentlich
genau diese frühen Sachen richtig für euch. Also
Synthesizer in der Form gab es ja damals noch gar nicht. Außerdem
war die Technik damals sauteuer. Solche Leute wie Keith Emerson, die
genug Knete hatten, konnten es sich vielleicht erlauben, solche
Dinger auf die Bühne zu stellen. TD hat damals neben den
normalen Musikinstrumenten versucht, mit allen möglichen
Sachen, die so rumstanden irgendwelchen Klang zu erzeugen - bis hin
zu Kaffeemaschinen. Bei Phaedra fiel der Band dann ein
Moog in die Hände. Phaedra war auch die erste
Scheibe in der Musikgeschichte, bei der mit Sequenzing gearbeitet
wurde.
Ihr wart oft recht derben Kritiken ausgesetzt. Wie geht ihr
damit um? Wenn man über ein Album, wie Phaedra, das
ja immerhin in vielen Ländern vergoldet wurde, sagt: Leute
freßt mehr Scheiße, 100000 Fliegen können sich
nicht irren, dann ist das nicht gerade die feine englische
Art...
Anfang der Achtziger haben die Leute gemeckert, weil wir
nicht mehr klangen wie in den Siebzigern. In den Neunzigern waren
ihnen dann die Achtziger nicht mehr gut genug. Wir entwickeln uns
halt kontinuierlich weiter. Als wir auf Le Parc erstmals
mit kürzeren Stücken an die Öffentlichkeit traten,
warf man uns kommerziellen Scheiß vor. Die zum Teil gleichen
Leute halten das Album heute für einen Meilenstein. Kritik
sollte konstruktiv sein. Wenn einer sagt, schmeiß deine
Instrumente aus dem Fenster, schließ dich ein und komm nicht
wieder raus - sowas interessiert uns gar nicht.
Ihr habt viele Soundtracks gemacht - Near Dark, Sorcerer, Thief,
Firestarter, Legend. Viele Thriller, Horror, aber auch
Beziehungskisten. Welche Voraussetzungen muß ein Film
erfüllen, daß ihr die Musik dafür schreibt? Klaus
Schulze hat mit Body Love den Soundtrack zu einem Porno
geschrieben.....
Wenn du in Hollywood arbeiten willst, versuchst du natürlich
erst einmal ein Bein in die Tür zu kriegen. Zunächst
kriegst du das Drehbuch, liest es dir durch, sagst OK oder auch
nicht. Das Drehbuch sagt freilich über den Film noch nichts
aus. Du kannst das beste Drehbuch haben, und der fertige Film ist
dann totale Scheiße. Dann siehst du den fertigen Film, und
sagst da dann wieder ja oder nein. Wenn man in diese Szene rein
will, lehnt man natürlich zunächst nichts ab. Du denkst:
Man wenn ich das jetzt nicht mache, dann bin sofort raus.
Also nimmst du erst mal soviel wie möglich an, besonders, wenn
es sich um lukrative Angebote handelt. Bei The Sorcerer
kam Friedkin, der unsere Musik wohl recht exotisch fand, auf uns zu
und sagte, genau so etwas will ich in meinem Film haben. Wir hätten
fast noch den Exorzisten gemacht, aber das hat dann
nicht mehr geklappt. Wir haben dann zwei Michael Mann - Filme
gemacht, und das hat die Leute angezogen. Bis dahin gab es diese
typischen Filmmusiken wie die von Goldsmith oder Maurice Jarre, die
die Soundtrack-Szene beherrscht haben. Mit unseren Elektronikkisten
war man da natürlich der totale Exot. Synthies fingen in den
Achtzigern an, erschwinglich zu werden, und freilich wurden wir
recht bald kopiert.
Wie funktioniert eigentlich das Soundtrack-Schreiben?
Du kriegst dann also ein Tape mit nem Timecode, ein
Script aus dem du entnehmen kannst, welche Szenen du besonders
hervorheben sollst - nach dem fünften, sechsten Film weiß
man dann natürlich, worauf es ankommt und kann auch relativ
selbständig agieren.
Wie kam es zu der Idee, eine Tour durch die DDR zu machen.
Zuerst ein Konzert, die Platte, aber recht bald eine Tour durch
einige größere Städte...
Diese ersten zwei Gigs waren ja eigentlich ein Unding. Was da
für ein Papierkrieg im Vorfeld stattfand, kann heute kein
Mensch mehr nachvollziehen. Diese kleine Tour war dann eigentlich
nicht mehr das Problem. Wir waren vermutlich auch in Sachen Bands
aus dem Westen so etwas wie das kleinere Übel - schließlich
hatten wir keine Texte. Den Applaus auf der Platte mußten wir
sowohl am Anfang als auch am Ende rausschneiden, weil man Angst vor
Zwischenrufen hatte.
Kurz danach wart ihr dann erneut im Ostblock auf Tour. Diesmal
in Polen. Die Schwierigkeiten dort waren dann aber völlig
anderer Natur...
Die Polentour war für die komplette Crew die Härte.
Es war Winter und die Lage in Polen war damals echt Scheiße.
Die Hallen waren zum Teil der blanke Eisboden, die Scheiben in den
Glasdächern waren kaputt. Diese ganzen empfindlichen Geräte
sind natürlich laufend ausgefallen. Teilweise gab es
Stromausfälle bis zu einer halben Stunde. Und die Leute saßen
bei dieser Arschkälte auf dem Eis und haben keine Mucks gesagt.
Es ging dauernd was schief, und irgendwie hat genau das die ganze
Crew zusammengeschweißt. Wenn du hinterher einen nach der
Polentour gefragt hast, hat jeder gesagt - Polen, das war die Härte,
aber er war einfach stark.
Die einzige konstante Größe im TD-Line Up ist Edgar.
Bestehen noch Kontakte zu ehemaligen Mitgliedern?
Wir hatten ja nun wirklich jede Menge Line-Up Wechsel. Zu
Johannes Schmölling bestehen noch Kontakte, weil er ja auch in
Berlin wohnt. Er ist einer der wenigen, die in Berlin geblieben
sind. Alle anderen mußten sich ja auch den Hollywood-Wind um
die Nase wehen lassen. Einige Platten von ihm werden wir jetzt auf
unserem Label wiederveröffentlichen, wenn die alten Verträge
dann ausgelaufen sind. Aber er ist eigentlich der einzige, mit dem
wir noch zu tun haben.
Daß Vater und Sohn in der gleichen Band spielen ist
außergewöhnlich. Meist sind die musikalischen Interessen
doch verschieden. Eigentlich hättest du Punk spielen müssen.
Damals bei Melrose wurden die Kompositionen noch
gedrittelt aber mittlerweile ist es eigentlich eine fiftie/fiftie -
Sache geworden. Ich hatte einfach immer Zugang zu dem gesamten
Instrumentarium, konnte faktisch rummachen wie ich wollte. Das hat
ganz gut geklappt, zunächst bei Melrose, und wir
haben es dann halt weiter versucht. Edgar könnte es sich auch
gar nicht leisten, mich mitmachen zu lassen, wenn ich nichts drauf
hätte. Was nützt es, daß ich zwar der Sohn bin, aber
nur Scheiße baue.
Theoretisch wäre es doch denkbar, daß dein Vater sich
mal irgendwann aus dem Geschäft zurückziehst und du
Tangerine Dream weiterführst. Wie gefällt dir der Gedanke?
Das kann ich nicht beantworten. Er hat ja schon oft gesagt,
daß er aufhören will. Aber jetzt haben wir erst einmal
ein neues Line Up, eine Tour. Eine Bandübernahme durch mich
steht im Moment überhaupt nicht zur Debatte.