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Steve Hackett: The Dark Side Of Steve Hackett

DURP - eZine from the progressive ocean

Interview

Nachdem die beiden letzten Alben von Steve Hackett eher unter der Rubrik ”Vergangenheitsbewältigung” einzuordnen waren, liegt mit ”Darktown” ein genauso ungewöhnliches wie überzeugendes Album des ehemaligen Genesis-Gitarristen vor.

Renald Mienert versuchte, die dunklen Seite des Steve Hackett zu ergründen.

Nachdem du dich mit den beiden letzten Alben in erster Linie mit deiner musikalischen Vergangenheit auseinandergesetzt hast, ist auch Darktown ein Blick zurück.
Ja, vor allem wenn man die Texte betrachte ist das so, allerdings aus einer sehr persönlichen Sichtweise. Es geht um die Schulzeit, um die erste Liebe, um Erfahrungen mit Drogen. Es geht auch um die Hippie-Generation und was aus ihr geworden ist. Was ist aus all den wunderbaren Frauen geworden? Denk nur an Marianne Faithfull - die Metamorphose der britischen Rose. Einige der Songs reflektieren Dinge, die ich wirklich erlebt habe, andere sind - nun nennen wir es Bilder, die aus dem Unterbewußtsein emporgestiegen sind.

Es gibt einen Song, der mich auf Darktown besonders fasziniert hat. ”In The Golden Age Of Steam” wurde ja durch das Tagebuch der Anne Frank inspiriert. Du stellst die Frage, was wäre, wenn sie von einem Kind verraten wurde. Es ist ja Tatsache, das die Nazis Kinder als Spione mißbraucht haben. Wenn ich den Song höre, habe ich immer das Gefühl, hinter einer scheinbar glatten Oberfläche, lauert ein Monster.
Ich habe mich ziemlich schwer mit diesem Song getan, weil die Storie musikalisch sehr schwer umzusetzen war. Ich habe mich schließlich einfach von meinem Instinkt treiben lassen. Es war für mich schließlich die einzige Möglichkeit, sich mit einem so schmerzvollen Thema auseinderzusetzen. Ich glaube, es hat funktioniert, und zwar wie eine Beschreibung, nicht unbedingt als eine Wertung. Ja, da ist ein Monster. Die Orchesterparts sind alles Samples, aber ich finde, sie klingen extrem realistisch. Darauf bin ich wirklich stolz. Es zeigt doch, was man mit Samples alles machen kann. Textlich kreiere ich das Bild eines Menschen, der Schuld auf sich geladen hat, und jetzt mit der Erkenntnis Leben muß, was er da eigentlich getan hat. Andererseits sind dies Täter auch gleichzeitig wieder Opfer. Es ist wirklich so ein kompliziertes Thema. Als ich mit Ben Fenner arbeitete und ich ihm von diesem Song erzählte, hatte er die Idee zu diesem Orchester-Sound. Dieser Sound, wie ein Zug, wie eine Kriegsmaschine. Ein Zug, dem du nicht entkommen kannst, Für manche symbolisch, für andere im wahrsten Sinne des Wortes.

Du meinst damit die Züge in die Konzentrationslager. Es gibt noch andere Monster auf deinem Album – Lehrer. Hältst du sie wirklich für solche Ungeheuer, oder sind sie das nur in den Augen der Kinder?
Ich glaube wirklich, daß einige von ihnen richtige Monster sind - nicht nur aus der Sicht der Kinder, sondern auch aus der Sicht der Erwachsenen. Lehrer mißbrauchen sehr oft ihre Macht, sind sehr oft dafür verantwortlich, daß aus Kinder sich nicht so entwickeln, wie sie es eigentlich könnten. Auch hier will ich nicht verallgemeinern, Tatsache ist aber dieses vorhanden Potential für diesen Machtmißbrauch. Ich kenne da wirklich so viele Leute, die das bestätigen, die alle möglichen Probleme mit sich herumschleppen, die Alkoholiker geworden sind. Menschen, die kein Selbstbewußtsein haben, weil ihnen immer wieder gesagt wurde, daß sie nichts können, nicht gut genug sind. Und irgendwann glauben Kinder das, irgendwann erreichen sie ein Stadium der Depression. Ich halte Lehrer tatsächlich für sehr gefährliche Leute.

Aber es geht nicht nur um die dunklen Seiten des Lebens. In ”Rise Again” greifst du das Thema der Reinkarnation auf.
In diesem Fall habe ich den Text geschrieben, und als ich fertig war, habe ich gestaunt, was ich denn da eigentlich geschrieben hatte, worum es denn eigentlich ging. Beim Schreiben war ich nicht bewußt auf dieses fokussiert. Ich glaube aber nicht an Reinkarnation im Sinne des Buddhismus. Ich glaube schon an mögliche Formen eines Seins nach dem Leben, und ich verbringe eine Menge Zeit damit, darüber nachzudenken, wie diese tatsächlich aussehen könnten. Es gibt da allerdings so viele Aussagen, daß es sehr schwer ist, zwischen dem Möglichen und dem, was nur entstanden ist, um die ganze Industrie, die rund um dieses Thema gewachsen ist, zu unterstützen. New Age, Hippie, Esoterik, all diese Sachen, die sich am Ende doch nur als Nonsens entpuppen. Fakt ist allerdings auch, daß ich wirklich Leute getroffen habe, die die Zukunft exakt voraussagen konnten, was ja darauf hindeutet, daß die Zukunft schon heute existiert. Ich glaube jedenfalls, daß die Zeit nicht so funktioniert, wie wir es wahrnehmen.

”Rise Again” ist auch der einzige Song, auf dem du ein konventionelles Schlagzeug einsetzt. Überhaupt zeigst du dich modernen Technologien sehr aufgeschlossen.
Es ist nicht immer möglich, sich weiterzuentwickeln und gleichzeitig Rücksicht auf die Vergangenheit zu nehmen, Ich bin nicht mehr Mitglied in einer Band, wo man es mit einer Anzahl von Individuen auseinandersetzen muß. Ich bin wie ein Maler vor einem leeren Blatt, der dieses Blatt dann ausfüllt, und entscheidet wie. Es kam schon häufig vor, daß ich versucht habe mit Leuten zu arbeiten, und dann hat sich herausgestellt, daß sie letztlich weniger flexibel waren, als hätte ich mich auf den Einsatz modernster Technologie beschränkt. Und die größte technische Entwicklung gibt es wohl im Bereich der Drums. Und gerade auf Darktown war es geradezu zwingend notwendig, auf elektronische Rhythmen zurückzugreifen, die Drums sollten unpersönlich klingen. Ich wollte nicht mit einem Drummer arbeiten - was ein Drummer sich unter seinem Part vorstellt, weicht oft sehr stark von dem ab, was der Produzent sich vorstellt. Schließlich ist es der Song der bestimmt, welche Mittel eingesetzt werden. Man darf das aber nicht falsch verstehen. Ich habe kein generelles Problem damit mit Drummern oder generell mit anderen Leuten zusammen zu arbeiten. Es darf nur nicht so laufen, daß ich Dinge entwerfe, für die Umsetzung dann jemanden anheuere und dessen Input letztlich die Ausgangsidee zerstört. Es ist ein wenig so, als ob man den Einsatz einer Schreibmaschine mit dem eines Federhalters vergleicht. Die menschliche Handschrift ist sicher flexibler, aber ob es darauf immer ankommt?

Ich war überrascht, einen Song auf deinem Album zu finden, der vor Jim Diamond gesungen wird. ”Days Of Long Ago” hätte es eigentlich verdient, genauso ein Hit zu werden wie ”I should have known better”, wohl der größte Erfolg von Jim bisher. Wie kamt ihr eigentlich zusammen?
Wir trafen uns das erste Mal, als ich an einem Projekt für die vietnamesischen Boat-People arbeitete. Bis dahin hatte ich ihn noch nie singen gehört. Er hat so eine wunderbare Stimme, daß wir diesen Song aufnahmen. Wir arbeiten jetzt gerade wieder zusammen. Wir sitzen über einigen Songs aus denen hoffentlich ein ganzes Album entstehen wird.

Viele der Geschichten, die du auf Darktown erzählst, bieten sich förmlich an, auch visualisiert zu werden – denkst du eigentlich über ein Video nach?
Ein Video ist eine sehr teure Angelegenheit. Und ich habe mit Darktown für meine Verhältnisse eine sehr teure Platte gemacht. Mein Standpunkt ist: Lieber eine neue Platte zu machen, als ein Video zu einer alten. Auch Musik selbst kann extrem visuelle Empfindungen auslösen. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß vielleicht ein zweitklassiger Filmemacher ein Video zu meiner Musik macht. Und ich kann mir bestimmt keiner erstklassigen leisten. Videos sind leider ein für mich unerschwingliches Medium. Sie haben auch oft einen komödiantischen Touch. Meine Musik ist oft sehr dunkel. Man könnte zu meinen Songs vielleicht einen ganzen Film machen, aber bestimmt wäre es sehr schwer, ein gutes Video zu drehen.

Ein Musiker mit deinen Fähigkeiten, sollte doch kein Problem haben, einen Majordeal abzuschließen. Trotzdem betreibst du mit Camino-Records ein eigenes Label.
Ich habe es einfach satt, mich immer wieder und wieder mit einem Major auseinander zu setzen. Ein Major hat kein Interesse an Leuten in meinem Alter mit meinen Fähigkeiten. Du kannst auch mit einem kleinen Label erfolgreich sein, es spornt dich auch an, die Dinge zu verbessern - Qualität, Vertrieb, Werbung. Ich kann mir Dinge erlauben, die mir ein Major nicht erlauben würde. Irgendwann wollen sie Änderungen, wollen dich in eine Richtung bringen, mit der du nicht einverstanden bist. Ich wäre vermutlich nicht sehr zufrieden mit den Platten, die dabei herauskommen würden. Mir gefällt der Gedanke, daß das, was ich mache, etwas einzigartiges ist. So etwas würde eine Majorcompany nicht erkennen. Auch hier habe ich viele Leute kennengelernt, denen es so ergangen ist, die Alben produziert haben, die sie eigentlich so nicht machen wollten. Es ist nicht meine Absicht, ein Hitalbum zu produzieren, wenn ich mich nachher mit den Hits nicht identifizieren kann, wenn ich dann erkennen muß, daß der Hit praktisch wie etwas fabrikmäßig Erzeugtes entstanden ist.

Und noch eine letzte Frage. Hast du eigentlich mal wieder darüber nachgedacht in einer Band zu spielen?
Ich glaube nicht, daß ich in der Lage dazu wäre, noch einmal in einer Band zu arbeiten. Es würde mir nicht wirklich Freude bereiten. Als ich jünger war, konnte ich das Arbeiten in der Band akzeptieren. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich praktisch zu überqualifiziert war, um in einer Band zu spielen. Musik ist für mich ein sehr mächtiges, magisches Medium, und ich liebe es, in diesem Medium etwas zu schaffen, ohne daß ich jemanden fragen muß, ob das O.K. ist.


© Renald Mienert
DURP - eZine from the progressive ocean
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