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Salem Hill: Konzepte mit Tiefgang

DURP - eZine from the progressive ocean

Interview

Salem Hill sind in der deutschen Prog-Szene erst seit dem letzten Jahr ein Begriff, als sie mit ”The Robbery Of Murder” eines der besten Alben des Jahres veröffentlichten. Aber die Band gibt es schon länger, und auch die erwähnte CD ist so neu nicht. Der Manager und gute Geist der Band M.B. Sheppard stand dem Empire im Namen von Salem Hill Rede und Antwort.

Salem Hill (dt. Berg des Friedens) wurde in den späten Achtzigern von Carl Groves gegründet. Er besuchte die Belmont University in Nashville, Tennessee, und war enttäuscht über den Mangel an wirklich bedeutsamer Musik. Gemeinsam mit einigen Studienfreunden – Kevin Thomas und Patrick Henry – spielte man einige Jahre lokale Gigs. Aufgrund der wachsenden Komplexität der Kompositionen wurde es immer schwieriger, die Songs live zu spielen, und so entschloß man sich, einen Kindheitsfreund von Carl in die Band zu holen – Michael Dearing. Das Debüt ”Salem Hill” erschien 1992, ”Salem Hill II” 1994", beide nur als MC. ”The Robbery of Murder" erschien 1995 zunächst ebenfalls auf Kassette und wurde 1998 dann auch auf CD veröffentlicht. Davor gab es bereits 1997 die erste CD ”Catatonia”, und alles ohne Label, dafür aber mit den üblichen Problemen.

Unglücklicherweise gibt es in Tennessee keine Prog-Szene und so werden wir hier auch fast völlig ignoriert. Trotzdem hoffen wir, daß sich das ändert, immerhin haben wir in Vorbereitung auf unseren Album-Release-Gig in einigen Klubs in unserer Gegend gespielt. Aber die meisten unserer Konzerte finden außerhalb von Tennessee statt. Unser Auftritt beim ProgDay 97 zum Beispiel war so etwas wie ein Wendepunkt für die Band, weil es für uns so viel positives Echo gab und er uns half, die Band als ernst zu nehmende Progband zu etablieren. Es ärgert mich, daß Prog hier weitestgehend unbeachtet bleibt, in anderen Ländern aber sehr geschätzt wird. Ich glaube wirklich, das ist ein Beweis dafür, daß der amerikanische Musikgeschmack komplett vom Kommerz bestimmt wird. Das Musikgeschäft wird von Anwälten und Managern bestimmt, die nichts mit Musik zu tun haben. Radio ist nutzlos, weil es den Leuten unablässig fade und hohle Musik vorkaut. Dabei wäre gerade Airplay so wichtig für uns. Es gibt so viele potentielle Fans, die nur die Möglichkeit bräuchten, diese Musik zu hören. Es ist schon erstaunlich, wie sich die Industrie in den letzten zwanzig Jahren zurück entwickelt hat. Man denke nur, die größte Plattenfirma der Welt – Polygram – gehört jetzt einer Schnapsbrennerei. Alan McGee von Creation Records hat in einem Interview einmal gesagt: ”Die Musikindustrie ist am Arsch und stirbt!” Aber auch die Szene hat ihre Kehrseite. Mich ärgert dieses elitäre Getue bei vielen Leuten –dabei macht die US-Szene doch nur einen Bruchteil der gesamten Szene aus. Es wird wirklich Zeit, daß wir den Rest der Welt einholen.

Recht drastische Worte, aber wenn Salem Hill mal wirklich elitäres Gelabere hören wollen, dann sollten sie sich möglichst schnell um Deutschland-Gigs kümmern. Immerhin hat man jetzt einen Deal. Nachdem unter anderem auch deutsche Label kein Interesse bekundeten, machte schließlich Cyclops das Rennen. ”The Robbery Of Murder” wird Ende Januar 99 über dieses Label neu veröffentlicht und den Bonustrack ”The Evil One” enthalten, der ursprünglich auf dem Debüt zu finden war. Die neue Version wird allerdings völlig anders klingen und einige musikalische Überraschungen bieten. Für Europa sieht es also nicht schlecht aus.

Schon jetzt verkaufen wir mehr als die Hälfte unsere CD’s außerhalb der USA. Unsere europäischen Nachbarn scheinen unabhängiger und aufgeschlossener zu sein, was ihren Musikgeschmack betrifft. Das gute am Prog ist der weltweite Anklang – ein großes Band, das uns alle verbindet. Und die Szene wird größer! Eine große Chance für das Genre sehe ich auch im Internet. Fast täglich gibt es mehr Quellen zum Thema Prog und immer mehr Informationen werden verfügbar.

Auch wenn gegenwärtig ”The Robbery Of Murder” noch in aller Munde (na ja, fast) ist, sieht die Band doch ”Catatonia” als noch wichtiger an.

"Catatonia" ist ein bemerkenswert ambitioniertes Album. Wir haben zwei Jahre für die Arbeiten gebraucht und es war unsagbar schwer, es aufzunehmen. Als Startschuß für uns außerhalb der USA kann man es nicht hoch genug einschätzen.

Bei beiden bisher veröffentlichten CD’s handelt es sich um Konzeptalben.
”The Robbery Of Murder” erzählt ja die Geschichte eines Jungen, der bei einem Autounfall seinen Vater verliert. Dieser Unfall wurde durch einen Betrunkenen verursacht und der Wunsch nach Rache prägt das weitere Leben des Jungen. Der Kern der Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit und wurde um Elemente wie Vergeltung und Konfrontation ergänzt. Das Cover stammt übrigens von einem New Yorker Künstler.

Rudolf Kinsky ist für das Artwork verantwortlich. Zwei der Bilder existierten bereits, bevor er Salem Hill überhaupt kannte. Das Coverbild heiß ”Chopin’s Piano” und das Innen-Foto ”Silence”. Alles andere wurde speziell für das Album kreiert. Wir entdeckten die Arbeiten im Internet noch bevor wir mit den Aufnahmen begannen und baten Mr. Kinksky, sie verwenden zu dürfen. Mittlerweile ist aus diesem Kontakt eine feste Freundschaft geworden.

Aber zurück zu ”Catatonia”. Auch auf diesem Album nahm man sich keines leichten Themas an.

Ursprünglich wurde das Album durch den Song ”Black Flag” von King’s X inspiriert. Es gibt eine Zeile, die lautet: "...and lately I'd become a member of the walking dead..." Wir schrieben den Song "The Walking Dead" zuerst, und er gab die Richtung für das gesamte Album an. Ich habe über ein Jahr an der Geschichte gebastelt. "Catatonia" erzählt die – natürlich fiktive – Story eines Mannes, der die Orientierung in seinem Leben verloren hat. Seit seiner Geburt mußte er mit dem Fluch leben, nicht träumen zu können. Als eine Art Ersatz hatte er aber die Möglichkeit, sich selbst in einen katatonischen Zustand zu versetzen, in dem er dann die vielen Welten seiner Phantasie besuchen konnte und der Realität entfliehen. Diese Ausflüge forderten aber ihren Tribut. Je älter er wird, um so schwerer wird es für ihn, den Ausgang zu finden, zurück in die reale Welt. Aus Angst, für immer in diesen Traumwelten gefangen zu bleiben, hatte er aufgehört mit diesen Trips. Sein Leben als Erwachsener widert ihn allerdings an, mit seinen immerwährenden nichtssagenden Wiederholungen, sozusagen das Fehlen eines richtigen Lebens im richtigen Leben. Nach unterschiedlichsten negativen Erfahrungen beschließt er, nach ”Catatonia” zurückzukehren, da er dort sicher zufriedener ist, als in der wirklichen Welt, obwohl er sich der Tatsache bewußt ist, daß er vermutlich dieses Mal für immer dort gefangen bleibt. Wie das Schicksal es will, in dem Augenblick, in dem er diese Scheinwelt wieder betritt, hat er plötzlich seinen ersten Traum. Und er träumt von...

Das soll nicht verraten werden, also kommen wir noch mal zur Musik. Auf beiden Alben – mehr noch bei ”The Robbery Of Murder” – überzeugen vor allem die ruhigen Stücke, deren emotionaler Wirkung man sich nur schwer entziehen kann.

Wir glauben, besonders wenn die Inhalte eher tragisch und dramatisch sind, sind langsamere Songs besser geeignet, diese Themen umzusetzen. Ich schreibe immer zuerst die Texte, so daß diese das Gefühl für die Musik vorgeben. Während Titel wie "When" und "Epilogue" eine eher melancholische Musik fordern, schreien "Someday" und "Revenge" förmlich nach schnelleren und härteren Klängen.

Alle Bandmitglieder leisten ihren Beitrag zu den Songs, drei sind unmittelbar am Songwriting beteiligt, wenn auch Carl Groves den Hauptanteil leistet. Kevin Thomas komponiert zwar nicht, ist aber sehr wichtig, kommen von ihm doch viele Vorschläge für die Arrangements. Dennoch holte man sich Verstärkung in die Band.

Der neue Keyboarder Michael Ayers kam Sommer 1998 in die Band. Obwohl Michael Dearing einige Male für die Band die Keys bediente, hat Carl Groves seit 1993 neben der Gitarre auch alle Tasteninstrumente gespielt. Nachdem wir "The Robbery of Murder" im Frühjahr aufgenommen hatten, wurde bald klar, daß es unmöglich war, diese Stücke live als vierköpfige Band zu spielen. Auf den Platten spielt Carl beides, live geht das nicht mehr. Carl hat immer behauptet, er sei ein Gitarrist, der nur so aus Spaß auch auf den Keyboards herumklimpert. Michael Ayers hat auf eine Zeitungsannonce geantwortet, und es war Liebe beim ersten Hören!


Im Januar erscheint bei Bullseye Records ein Klaatu-Tribute Album ”Around The Universe In 80 Minutes”. Salem Hill werden mit dem Klassiker "Around The Universe In 80 Days" aus dem ziemlich genialen Album ”Hope” vertreten sein. Das nächste Album, vorläufiger Arbeitstitel ist ”Not Everyone's Gold” soll im Sommer oder Herbst 1999 erscheinen. Es wird zwar kein Konzeptalbum werden, allerdings wird mit ”Sweet Hope Suite” ein Zwanzig-Minuten-Song enthalten sein. Die nächste Pressung von ”Catatonia” – und es wird bestimmt eine geben – wird remastert werden und irgendwann plant man auch , die beiden ersten Alben auf CD zu veröffentlichen. Wir sind gespannt.


© Renald Mienert
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