Bei diesen Zeilen handelt es
sich nicht etwa um die Gewaltphantasien eines durchgeknallten
Marillion-Fans bezüglich meines geschätzten Kollegen Herrn
Wesche, sondern schlicht und einfach um Weltliteratur. Sie sind
nämlich Bestandteil eines Gedichtes von Lewis Carroll, vor
allem bekannt durch Alice im Wunderland, und stammen aus
einer weiteren Geschichte um Alice, nämlich Alice im
Spiegelland. Jabberwocky heißt das böse
Monster, das auch dem Album von Clive Nolan und Oliver Wakeman den
Titel gab. Und da Clive Nolan hier schon des öfteren zu Wort
kam, beschränken ich mich diesmal mit meinen Fragen auf Oliver
Wakeman, bekannterweise Sohn des vielleicht prominentesten
Rockkeyboarders aller Zeiten Rick Wakeman. Ein völlig
unbeschriebenes Blatt ist allerdings auch Oliver nicht, immerhin hat
er auch bereits eine Soloscheibe veröffentlicht.
Heavens Isle
wurde vor eineinhalb Jahren geschrieben. Es ist rein instrumental,
fast nur Keyboard und Piano und ein wenig Gitarre. Es gibt in
Großbritannien Organisationen, die sich um den Schutz von
Kulturdenkmälern kümmern, alte Gebäude, aber auch
alte Inseln oder solche Dinge. Für eine davon habe ich dieses
Album gemacht. Konkret ging es darum, eine kleine Insel im Norden
Devons zu unterstützen. Das ist die Gegend in der ich lebe.
Ursprünglich wurden nur 500 CDs gepreßt, und das
habe ich selbst finanziert. Und dann habe ich abgewartet, was
passieren würde. Aber die 500 Kopien sind längst verkauft,
aber wenn alles klappt, wird das Album noch bei Verglas
wiederveröffentlicht, so daß es wieder verfügbar
wird.
Bei einem so berühmten
Vater hat der Interviewer natürlich ein Problem. Fast
zwangsläufig beginnt sich das Gespräch um Rick Wakeman zu
drehen, obwohl es um den doch eigentlich gar nicht geht.
Ja, genau das passiert oft.
Aber ich glaube, es war noch komplizierter, als ich jünger war.
Als ich noch nicht selbst komponierte und keinerlei Album selbst
veröffentlicht hatte. Wenn Leute da mit mir gesprochen haben,
ging es meist um Rick. Aber heute fragen sie mich in der Regel
zuerst nach meiner Musik, und kommen dann irgendwann auf seine
Person. Ich denke, auch wenn ich eine Reihe von Alben veröffentlicht
habe, und sie den Leuten gefallen, wird es immer noch so sein. Aber
ich merke schon, daß die Leute auch immer mehr an meiner
Person interessiert sind, und das macht die Sache etwas leichter.
Und auch was die eigene
musikalische Leistung betrifft, legt man die Meßlatte
besonders hoch. Es hat eben alles Vor - und Nachteile.
Es hält sich wirklich
die Waage. Es ist schon gut, wenn die Leute den Namen hören,
und sich fast automatisch mit dem beschäftigen, was man macht.
Ein Problem wird es, wenn die Leute es dann hören und zu
vergleichen anfangen: Das klingt genau wie etwas, was Rick
gemacht hat, das ist etwas anders, das ist gut oder nicht so gut.
Um diese Vergleiche bin freilich
auch ich nicht herumgekommen. Auch ich dachte irgendwann beim Hören
von Jabberwocky, also das klingt jetzt wirklich wie
Rick-
Da bist du nicht der erste!
Ich spiele schon sehr viele Jahre Keyboards, und als ich aufwuchs,
hörte ich sehr viele Alben von meinem Vater. Und natürlich
ist er einer meiner Keyboard-Heros, ich meine, für viele ist er
einer der besten Keyboarder der Welt. Ich höre seine Alben
immer noch gerne, und wenn etwas von seinem Stil auf mich abfärbt,
dann ist das hoffentlich eine gute Sache. Es hat ja auch etwas mit
Familie zu tun. Man versucht, etwas von Generation zu Generation
weiterzugeben. Und der Name Wakeman wird nun mal immer mit gutem
Keyboardspiel in Verbindung gebracht. Ich möchte nicht genau
wie er klingen, aber ich möchte, daß meine Alben neben
seinen in den CD-Sammlungen stehen und die Leute sich daran
erfreuen.
Und die Chancen dafür
stehen gut, wie Jabberwocky eindrucksvoll beweist.
Begonnen hatte alles vor einigen Jahren.
Ich habe mal beim Radio
gearbeitet und einer meiner Freunde hatte dort ein Sendung. Er
spielte viel Heavy und ich habe ihm dann gesagt, daß ich mich
für Prog interessiere. Nun, wir waren Freunde, und er sagte,
O.K., machen wir eine Sendung über Prog. Wir machten eine Menge
Interviews, unter anderem mit Hard Rain, so lernte ich übrigens
Bob Catley kennen, aber auch eins mit Mick Pointer. Wir kamen ins
Gespräch und er sagte, du mußt dich unbedingt mal mit
Clive treffen. Das war vor etwa drei Jahren. Irgendwann habe ich
mich dann einfach in mein Auto gesetzt und bin zu ihm gefahren.
Clive macht die Tür auf und ich sage Hi, ich bin Oliver.
Wir sind dann in eine Kneipe, haben geredet und uns sehr schnell
entschlossen, daß wir etwas zusammen machen wollen, weil wir
ähnliche musikalische Interessen hatten. Aber wir waren beide
sehr beschäftigt und immerhin leben wir auch 200 Meilen
voneinander entfernt, so daß sich die Arbeit über eine
längere Zeit hinzog. Meisten trafen wir uns an Wochenenden um
zu arbeiten, es gab eine Zeit, da trafen wir uns wirklich jedes
Wochenende, manchmal nur eins alle zwei oder sogar drei Monate.
Eine Menge Zeit für ein
Gedicht, das ja dann doch eher kurz geraten ist.
Ja, das Gedicht ist sehr
kurz. Es lieferte praktisch nur die Idee zu der Storie, nicht aber
die Storie. Das machte es uns ziemlich einfach, nach Belieben
bestimmte Dinge in die Geschichte zu integrieren. Im Gedicht geht es
ja nur darum, daß ein kleiner Junge gegen ein Monster kämpft.
Wir haben noch verschiedene Charaktere hinzugefügt, das
Mädchen, den Baum. Hätten wir nur das Gedicht vertont,
hätte das ganze Album nur fünf Minuten gedauert.
Bei einer Fusion sagt ja man ja
gewöhnlich, daß es auch immer einen Verlierer gibt. Hier
war das offensichtlich nicht der Fall, sowohl was das Songwriting
als auch die Texte angeht.
Unterm Strich war es auch
hier halbe - halbe. Es gibt Songs, da hat er alles gemacht, oder
ich, zu manchen Stücken kommt die Musik von ihm, der Text von
mir oder auch umgekehrt. Mal schrieb Clive die Strophe und ich den
Refrain, es war definitiv ein komplettes Gemeinschaftsprojekt.Mein Hauptinstrument ist natürlich das Piano, sind die Keys.
Aber ich spiele auch Gitarre. Die Gitarre verwende ich oft, wenn ich
mich im Stadium des Songwriting befinde. Manchmal ist es sehr
nützlich, einen Song auch mal auf einem anderen Instrument zu
spielen, als auf dem, für das er eigentlich gedacht war. Ich
mag es, auf diese Art zu experimentieren, einfach zu sehen, was
passiert.
Nun sind ja Fantasy-Motive auch
- oder von mir aus auch gerade - im Prog sehr beliebt. Jabberwocky
allerdings unterscheidet sich gravierend von vergleichbaren Werken.
Die Geschichte präsentiert sich eher märchenhaft und
kindgerecht als bierenst und blutig.
Ja, und ich glaube, das ist
auch gut so. Unser Album ist nicht gewalttätig, es ist auch
nicht so ernst gemeint. Eine Menge dieser Prog-Alben sind sehr
schwerverdaulich, sehr ernst. Das sind sehr gute Alben, aber
manchmal braucht man auch etwas, um einfach nur Spaß zu haben
- und so ein Album wollten wir machen. Es war eigentlich von
vornherein unsere Absicht, etwas in der Art eines Musicals zu
machen. Etwas, was man auch auf der Bühne spielen könnte
wie ein Theaterstück. Zuerst hatten wir nur an zwei Charaktere
gedacht, an den Jungen und das Mädchen. Und dann, als ich einen
Song über den Baum schrieb, fragten wir uns, warum soll nicht
auch der Baum von jemandem verkörpert werden? Und dann sagte
Clive, warum keinen für Jabberwocky, warum kein Sprecher, und
so entwickelte sich das ganze, bekam eine Eigendynamik.
Mit Rodney Matthews konnte man
auch einen Künstler verpflichten, vielen wohl auch von den
Umschlagbildern diverser Fantasy-Bücher bekannt ist, der für
das Theam geradezu prädestiniert ist. Hier half allerdings der
Zufall kräftig mit.
Ich studierte Grafik und
Design und eine meiner Arbeiten befaßte sich mit modernen
Künstlern und so kam ich an Rodneys Telefonnummer. Als
wir dann später darüber nachdachten, was für ein
Album wir machen sollten, kamen wir auf Jabberwocky, waren uns aber
noch nicht sicher. Wir wollten ein Konzeptalbum, aber gerade ein
Konzeptalbum braucht ein gutes Artwork. Da fiel mir Rodney wieder
ein, und wir kamen zu dem Entschluß, daß er genau der
richtige wäre. Zum Glück habe ich seine Telefonnummer
aufgehoben, und ihn einfach angerufen. Wir erzählten ihm, daß
wir vorhatten ein Album über Jabberwocky zu machen, und er
sagte, ich habe gerade ein Bild fertiggestellt, daß genauso
heißt. Es war purer Zufall.
Die Gilde der an dem Projekt
beteiligten Gastmusiker dürfte hinlänglich bekannt sein,
sogar Papa Rick konnte man verpflichten allerdings nur
als Erzähler. Dabei wäre es doch sicher naheliegend, ihn
auch einige Keyboardparts beisteuern zu lassen?
Nööööö.
Ich glaube, Rick hat mittlerweile auf hundertzwanzig Alben
mitgewirkt, davon spielt er auf hundertneunzehn irgendwelche
Tasteninstrumente, und auf einem ist er bloß der Sprecher. Ich
halte das für eine gute Idee.
Ein Album wie Jabberwocky
auf die Bühne zu bringen, ist natürlich keine leichte
Angelegenheit. Trotzdem denkt man darüber nach.
Unglücklicherweise hängt
natürlich viel am Geld. Es kostet nun mal eine Menge, so viele
Leute auf die Bühne zu bringen. Aber wir haben tatsächlich
vor, das Album auf die Bühne zu bringen. Es wird wohl keine
Tour im klassischen Sinne werden, eher eine Show in diesem Land,
eine Show in jenem, aber immerhin. Und natürlich ist es auch
ein Problem, alle Leute rein terminlich unter einen Hut zu bringen,
schließlich haben alle ihre eigenen Jobs.
Wo wir mal bei Jobs sind. Da
Rick Wakeman nicht mehr bei Yes ist, kann man doch durchaus mit dem
Gedanken spielen, daß der Sohn die Rolle des Vaters übernimmt.
Nein, eigentlich nicht. Nicht
ernsthaft. Ich mag Yes. Ich bin ziemlich gut mit Steve Howe
befreundet, er lebt nicht weit entfernt von mir. Man trifft sich,
man redet, auch darüber, was Yes grade tun, aber ich ein
Mitglied - nein, wirklich nicht. Ich arbeite gerade an einem neuen
Soloalbum, parallel zu dem neuen Album mit Clive. Das Solaoalbum
wird etwa zwölf Songs beinhalten, mit einem Touch von
Jabberwocky, aber auch vielen Pianoparts. Die Songs werden zwar
verknüpft sein, es wird sich aber um kein klassisches
Konzeptalbum handeln. Es ist schwer für mich es zu beschreiben,
schließlich ist es noch nicht fertig.
Jugendliche neigen ja oft dazu,
gegen ihre Eltern zu protestieren. Im Falle von Oliver wäre
doch Punk eine nette Protestform.
Punk? Nein! Mein Protest?
Puh, das ist immerhin schon zehn Jahre her. Ich glaube, so richtig
schlimme Sachen habe ich nicht gemacht. Musik zu laut gehört,
vielleicht. Jedenfalls war es schimm genug, um Schelte dafür zu
kriegen.
Die wird es für Jabberwocky
sicher nicht gegeben haben.