Es muß so um 1975 gewesen
sein. In Mecklenburg war das UKW-Radio noch nicht erfunden, Musik
hörte man auf Mittel - oder Kurzwelle, und hauptsächlich
einen Sender - nämlich Radio Luxemburg. Ab 19.00 Uhr sendete
der auf Mittelwelle zwar in Englisch, aber der Empfang war so
miserabel, daß man auch deutsch nichts verstanden hätte.
Irgendwann damals hörte ich zum ersten Mal My White
Bicycle von Nazareth und ich war sofort hin und weg. Das war
sozusagen der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Mehr als
zwanzig Jahre später hörte ich den Song wieder. Dieses Mal
allerdings live in Nürnberg im Hirsch und zwar knapp eine
Stunde nachdem ich mich mit Sänger Dan McCafferty unterhalten
hatte.
Die Bandgeschichte von Nazareth
begann vor dreißig Jahren. Nicht gerade das, was man eine
Eintagsfliege nennen könnte und doch sicher ein Grund zum
feiern. Aber als ich vermute, daß man im kommenden Jahr doch
sicher etwas Besonderes veranstalten wird, liege ich falsch.
Nein! Was werden wir machen? Ein
neues Album und eine neue Tour. Das gleiche, was wir schon immer
gemacht haben. Unsere Ursprünge gehen bis 1968 zurück,
1971 wurden wir Profis. Seitdem geht das so, und es hat sich nie
wirklich etwas geändert. Es gab Zeiten, da hatten wir Hits,
dann nicht, dann wieder - und so wird es immer laufen.
Wobei ich der Band natürlich
einen richtig fetten Hit von Herzen gönne. Schließlich
würde es mir das Herz brechen, Nazareth mal irgendwann bei
einer dieser diversen Oldies-Shows zu sehen, wo ehemalige Stars
einmal pro Jahr aus der Gruft ins TV gehievt werden und gleich
wieder in der Versenkung verschwinden, wo man genüßlich
vergangenen Zeiten nachtrauern kann. Doch bevor die Angst mit mir
durchgeht, werde ich beruhigt.
Unser Motto ist ganz einfach. Du
mußt dich immer vorwärts orientieren, nie zurück.
Hast du uns jemals bei diesen Oldie-Shows gesehen? Hast du nicht!
Wir schreiben immer neue Songs, in den Neunzigern, im Jahr 2000.
Auch wenn man ständig neue
Songs schreibt, stilistische Bocksprünge hat man sich
weitestgehend verkniffen. Das Business mag sich ändern,
Nazareth nicht.
Es hat sich einiges geändert
in den Jahren. Und wir sind auch einige Male über den Tisch
gezogen worden. Was das angeht, bin ich natürlich nicht
zufrieden. Aber sonst bin ich ganz happy. Ich hatte (und hat
hoffentlich noch sehr lange) ein gutes Leben. Ich genieße
mein Leben, bin von Freunden umgeben, und verdiene nicht schlecht.
Also, es ist O.K. Als wir anfingen, da lief das noch so ab: Du hast
zunächst in Clubs gespielt, im Marquee oder so. Das war alles
noch wie Just For Fun. Irgendwann wurden dann die Plattenfirmen auf
dich aufmerksam. Sie haben dich fünf, sechs Mal live angeschaut
und dann hattest du den Deal. Und man nahm dich gleich für drei
Alben unter Vertrag. Heute ist das alles anders. Ich spreche jetzt
nicht von Boyzone oder den Spice Girls, ich meine Rockbands.
RocknRoll bekommt kein Airplay, kein TV. Es wird wieder
Underground. Ich meine, das war es als wir anfingen auch noch, aber
das ist es jetzt wieder, Die Seventies waren gut für Rock, die
Achtziger waren ein Desaster, O.K. Ende der Achtziger gab es noch
GunsnRoses. Ich meine, das typische MTV-Publikum ist
zwischen Zwölf und Fünfzehn. Jugendliche suchen immer nach
etwas Neuem, aber wenn sie es im Fernsehen nicht gezeigt kriegen,
dann müssen sie es eben selbst finden.
Wobei ich allerdings befürchte,
daß sie sich nicht gerade Mühe geben. Und wie steht man
zum Vorwurf, ein Anachronismus zu sein?
Jede Zeit ist die richtige für
meine Musik. Ich meine, es kümmert mich nicht wirklich. Mir
gefällt, was ich mache, egal in welchem Jahrzehnt.
Das beste Jahrzehnt für
Nazareth waren sicher die Siebziger - wenn man die größten
Erfolge der Band betrachtet - This Flight To Night,
Hair Of The Dog, das schon erwähnte My White
Bicycle.
Wir haben immer Spaß, egal
ob wir nun gerade einen Hit hatten oder nicht. Aber natürlich
wäre es schön, wenn mal wieder mehr Leute unsere Musik
hören würden. Aber im Vordergrund steht die Freude,
einfach eine gute Zeit zu haben. Wir kennen uns ewig, sind gute
Freunde geworden. Ich habe Nazareth gegründet. Nicht so, wie es
heute läuft. Heute werden Bands von Managern künstlich
geschaffen. Du brauchst eine blonden, eine mit roten Haaren, mit
schwarzen, Tanzen müssen sie können, gut aussehen, Bubis
eben. Das ist nicht mein Ding. Das hat nichts mit Musik zu tun.
Diese Leute sehen nur das Geschäft.
Wobei auch bei Nazareth, die ja
- wenn man die Masse der Songs betrachtet - eindeutig die härtere
Schiene fahren, genau wie viele andere Bands ihre Mega-Hits mit
Balladen hatten. Love Hurts oder Dream On
kennt ja nun wirklich jeder.
Es gab immer diese ruhigen
Liebeslieder auf unseren Alben. Ich meine, unsere Musik drückt
unsere Gefühle aus. Und wie alle Menschen sind wir auch
verliebt - also schreiben wir darüber Songs. Aber es stimmt
schon. Gerade diese Songs werden im Radio gespielt. Im Radio läuft
Love Hurts, nicht Hair Of The Dog. Vom neuen
Album spielen sie May Heaven Keep You und nicht When
The Lights Come Down. Ich weiß auch nicht.
In den Siebzigern wurden einige
Nazareth-Klassiker von Roger Glover produziert. Und so ganz hat man
sich über die Jahre nicht aus den Augen verloren.
Wir waren für das neue Album
auf Promotour durch Europa und da traf es sich, daß Deep
Purple zufällig live dort gespielt haben. Es war riesig, die
Typen mal wieder zu sehen. Aber wir sind natürlich einfach
ständig an verschiedenen Enden der Welt. Da müßtest
du permanent am Telefon hängen, um in Kontakt zu bleiben.
Und auch auf der aktuellen Tour
ist man mit einer weiteren Legende aus den guten alten Tagen
unterwegs - Uriah Heep. Von Rivalitäten allerdings will man
nichts wissen.
Überhaupt nicht. Ich meine,
dafür sind unsere Stile dann doch zu unterschiedlich. Heep
haben diesen mystischen Touch, und wir spielen einfach nur
RocknRoll. Aber ich denke, diese Kombination ist sehr
gut. Denn die meisten der Fans mögen beide Bands.
Was sicher richtig ist. Nazareth
waren immer schon eine Live-Band, die mittlerweile wohl auf fast
jeder Bühne dieses Planeten gespielt hat. Die Rußland-Tour
war aber doch mehr als die übliche Rocknormalität.
Zunächst ist uns jeder Gig
wichtig. Aber die Tour durch Rußland war schon etwas
besonderes. Es ist einfach eine völlig andere Welt. Ich meine,
die Leute waren riesig. Man empfing uns so überschwenglich, das
war einfach fabelhaft. Die Menschen waren OK, die Politik war
Scheiße. Aber das ist nicht mein Thema - daran kann ich nichts
ändern.
Immerhin widmet man den Russen
auch einen Song auf dem neuen Album Boogaloo. Ganz
unernst feiert man eine Fete im Kreml.
Wir haben dort so viele Gigs
gegeben, daß wir der Meinung waren, wir müßten auch
mal einen Song darüber schreiben. Wir hätten natürlich
auch so etwas abliefern können wie: Mutter Rußland,
auferstanden aus der Asche des Kommunismus. Aber das wäre nicht
echt gewesen. Da haben wir uns für diese Variante entschieden.
Die Leute verstehen es auch. Es ist ein Joke mit den Russen, nicht
auf Kosten der Russen.
Ein feiner, aber entscheidender
Unterschied. Und eigentlich ist alles gesagt. Ich meine, ich muß
nicht noch Fragen, ob Dan so einfach mit der Rock-Musik aufhören
könnte, ob er sich ein Leben ohne Nazareth vorstellen könne
- schließlich muß man kein Hellseher sein, um die
Antwort im voraus zu kennen.
Nein! Ich meine, es gab ein paar
Minuten da habe ich Babys gemacht, aber die Babys sind jetzt auch
schon Männer. Aber normalerweise dreht sich 365 Tage im Jahr
alles um Nazareth - es ist mein Leben. Rockmusik ist mein Leben.
O.K. - Ich habe gute Tage und schlechte Tage, aber die hat ein
Ingenieur auch. Nein. Ich denke nie über so etwas nach.
Journalisten denken sich solche Fragen aus, aber sonst? Ich denke
über Nazareth nach, über neue Songs, aber nicht über
das Alter. O.K. manchmal vielleicht, wenn ich morgens vor dem
Spiegel stehe und einen Schreck kriege. Aber im Geist fühle ich
mich wie mit sechzehn, trotz der grauen Haare. Das Leben geht weiter
und das soll es auch.