Mystery:
Dem Geheimnis des Schicksals auf der Spur
Interview
Es war einmal eine Band im
fernen Kanada, die hieß Century. Wie das mit Bandnamen so ist,
fand man heraus, daß in Europa eine Band gleichen Namens
existierte. Die Freundin des damaligen Keyboarders der Band kam
schließlich auf die Idee, sich einfach in Mystery
umzubenennen. (Obwohl ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, daß
auf die Idee, nicht auch schon andere gekommen sind!) Der Vorschlag
jedenfalls kam so gut an, daß man sofort darauf einging. Wie
die Freundin darauf kam, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben,
irgendwie paßt der Name aber zur Musik. Denn die ist
eigentlich weder typisch progressive, aber schnöder Mainstream
doch schon gar nicht? Empire befragte Michel St-Père.
Ich würde unsere Musik
schon Art-Rock nennen, sehr melodisch, aber mit einer Art
versteckter Komplexität, die viele Kritiker und Prog-Fans in
die Irre führt. Ich finde es sehr amüsant und interessant
zugleich, wenn ich immer wieder das selbe in den Reviews lese. Die
meisten Leute hassen unsere Musik nach dem ersten Hören oder
sind alles andere als beeindruckt, bis sie die Songs mehrmals gehört
haben, und all die kleinen, versteckten Dinge in ihnen entdeckt
haben. Die passenden Worte zu finden ist wirklich schwer ist
es wirklich progressiv? Aber wer weiß überhaupt, was
progressiv ist? Unsere Musik ist was sie ist und kommt aus unseren
Herzen.
Vor allem kommt sie aber wohl
aus dem Herzen von Michel selbst, allerdings ist er überhaupt
nicht damit einverstanden, wenn man ihn mit einem kleinen Diktator
vergleicht.
Auch wenn es nicht so
aussieht, bei uns kann jeder mitbestimmen. Gut ich schreibe
und produziere die Musik, aber die Musik wäre nicht die gleiche
ohne die Stimme von Gary, Patricks Bass und Steves
Schlagzeug. Die Songs sind so angelegt, daß alle anderen
genügend Raum haben, sich selbst einzubringen.
Michel selbst versucht nicht
allzuviel Prog zu hören, und obwohl er diese Musik schon immer
gemocht hat, so hatte er doch bis vor drei Jahren keine Ahnung von
der Existenz einer eigenständigen Szene. Er hat Bands wie April
Wine oder Rush schon immer gemocht, hatte seine New Age Phase
(Enya und Kitaro mag er immer noch) und steht neuerdings auf
Klassik. Wenn man noch was lernen kann, dann da. Was neuere
Prog-Produktionen angeht, so haben ihm besonders The Night Watch und
Citizen Cain gefallen. Genau wie letztere haben Mystery schon ein
paar Jährchen auf dem Buckel, bevor es jetzt endlich so
ausschaut, als würde der Durchbruch gelingen.
Mystery wurde 1986 gegründet,
unser Debüt erschien 1992. Jetzt haben wir 1999, und man
beginnt erst, auf uns aufmerksam zu werden. Drei Mitglieder haben
die Band verlassen, nachdem Theatre Of The Mind erschien
als (und vielleicht weil) uns noch kein Mensch kannte. Wie
gesagt, wir wußten nichts von der Prog-Szene und einige von
ihnen dachten vielleicht, wir würden mit unsere Musik geradezu
in eine Sackgasse steuern und daß es keinen Markt dafür
gäbe. Aber ich denke, gegenwärtig haben wir das stärkste
Line-Up, das wir je hatten.
Nun habe ich noch nie erlebt,
daß jemand etwas anderes behauptet hätte. Fakt ist, daß
man für das aktuelle Album allerorten Lob erntet.
Unser kanadischer Vertrieb
tut sein bestes, um die Händler und Radiostationen zu
überzeugen, daß man diese Musik auch heute noch hören
will. Die Leute mögen die Musik, aber sie müssen eben auch
die Gelegenheit haben, sie in den Läden kaufen zu können,
sie im Radio zu hören. Es gibt eine Kluft zwischen den
traditionellen Prog-Bands und jungen Gruppen. Pink Floyd füllen
das Olympiastadion drei Nächte hintereinander, unbekannte Bands
haben kaum Auftrittsmöglichkeiten und werden von der Industrie
ignoriert. Aber es ist eine Szene im Entstehen und ich hoffe, daß
es vorwärts geht. Prinzipiell denke ich, daß der Markt in
Europa für Prog besser ist. Gerade dort läuft es gut für
uns, und darüber freuen wir uns sehr. Wir haben dort einen Deal
mit Musea, der für uns sehr hilfreich ist. Wir bekommen
mittlerweile auch Post von Fans aus Europa, und wenn dir jemand
sagt, wie sehr er deine Musik liebt was könnte eine
bessere Motivation sein?
Was die Probleme mit
Medienignoranz, Vertrieben usw. angeht, scheint man ja überall
den gleichen Trödel zu haben. Aber eines ist in Kanada doch
anders, aber jede Medaille hat eben zwei Seiten.
Es gibt hier eine Menge
Unterstützung durch den Staat. Viele Alben werden vom Staat
finanziert. Einerseits ist das gut, aber was mich betrifft, sollten
Politik und Musik nicht so eng miteinander verknüpft sein, und
das Problem hier besteht darin, daß genau das geschieht.
Eines der Markenzeichen von
Mystery ist der Gesang von Gary Savoie, der gelegentlich mit dem von
Journey verglichen wird. Damit hat man kein Problem.
Ich glaube schon, daß
es diese Gemeinsamkeiten gibt, aber das ist nichts, was Gary
anstrebt. Besonders auf Destiny? kann man hören,
daß er mehr und mehr einen eigenen Stil entwickelt, und das
wird er mit den folgenden Produktionen ausbauen. Allerdings ist es
ein großes Kompliment für ihn, mit einem der Besten
verglichen zu werden.
Zur Musik hatten wir anfangs
schon einiges gesagt, kommen wir nun zu den Texten. Denn auch wenn
die Musik im Vordergrund steht, so ganz unwichtig sind die ja auch
nicht, oder?
Ich würde nicht sagen,
daß Texte nicht wichtig sind, wenn du das glaubst, kannst du
genau so gut Instrumentalmusik machen. Ich schreibe zuerst die
Musik, die wächst dann in mir, bis sich Worte formen und
schließlich Sätze. Die Musik muß die gleiche
Geschichte erzählen wie der Text, beides muß die gleichen
Gefühle vermitteln nur eben in unterschiedlichen Medien.
Kommen wir doch mal zu einem
Beispiel, wie ist das mit dem Titelsong von Destiny??
Ich war eines Nachts
unterwegs, und es ging mir besonders gut und alles sah rosig aus. Da
kam mir plötzlich in den Sinn, daß es genug Leute gibt,
die nicht solch Glück hatten. Ich kam nach Hause und begann zu
grübeln über das Leben und das Schicksal. Muß
ich mich schuldig fühlen, weil es mir gut geht und anderen
schlecht? Und wie sieht es morgen aus? Vielleicht genau anders
herum? Gibt es so etwas wie einen Masterplan hinter jedem Leben?
Folgen wir nur einem vorbestimmten Pfad oder bestimmen wir unser
Schicksal selbst? Das alles muß einen Grund haben, und den
gilt es herauszufinden. Wir werden es wahrscheinlich nie schaffen,
aber wenigstens sind wir uns der Tatsache bewußt. Wir können
Bücher schreiben soviel wir wollen, wir kommen immer wieder zur
gleichen Frage zurück: Warum?
Tja, warum, das frage ich mich
auch manchmal. Warum zum Beispiel kam man auf dieses Cover? Roger
Dean stand zwar nicht Pate, aber dafür hat man sich richtig
Gedanken gemacht.
Die Reaktionen auf das Cover
waren auch sehr gut. Ich habe nach einer Möglichkeit gesucht,
den Begriff Schicksal darzustellen. Wir haben das
Fragezeichen hinter das eigentliche Wort gesetzt, um die Frage
aufzuwerfen, was Schicksal eigentlich bedeutet. Du hast
da diesen kleinen Jungen auf dem Weg zur Schule, im Hintergrund den
Friedhof. Das Kind ist noch zu jung, um sich mit dem Friedhof zu
beschäftigen, er hat das ganze Leben noch vor sich, aber am
Ende wird er dorthin zurückkehren. Die Frage ist, was geschieht
mit dem Leben des Jungen bis dahin? So viele Wege stehen ihm offen
er kann ein großes Unternehmen leiten oder ein Mörder
werden, sein Leben wird das Leben anderer Menschen beeinflussen,
vielleicht wird er aber auch nicht seinen achtzehnten Geburtstag
erleben. Wir wissen es nicht, wir können nur hoffen. Einige
Leute meinen, das Cover löse negative Gefühle
aus aber so war es nicht gemeint. Betrachtest du das Bild
nur, dann mag es so sein, aber wenn du dir die Zeit nimmst, und
darüber nachdenkst, dann ändert sich das. Das Cover stammt
von unserem langjährigen Drummer Stéphane Perreault und
er hat seine Sache großartig gemacht.
Großartig ist nicht nur
Destiny? geworden, sondern auch das Vorgängeralbum
Theatre Of The Mind. Ein Album, das vielleicht noch
wichtiger war, als das aktuelle Output?
Ich glaube, der Erfolg von
Theatre Of The Mind und all die Aufmerksamkeit, die uns
plötzlich zuteil wurde, waren entscheidend für uns.
Plötzlich waren da Leute, die unsere Musik hören wollten!
Ich hoffe, daß es so weiter geht. Als wir das Album aufnahmen,
hatten wir so ziemlich alle Probleme, die man bei solchen Sachen
haben kann. Dagegen was Destiny? das reinste Vergnügen.
Die Songs auf Theatre Of The Mind waren auch alle schon
einige Jahre alt, bevor das Album erschien, während die auf
Destiny? erst unmittelbar vor den Aufnahmen entstanden.
Wir haben uns als Musiker weiter entwickelt und auch unsere
Arbeitsweise sowohl als Produzent als auch Musiker hat sich
geändert. Auf dem neuen Album wollten wir auch mehr als Band
auftreten, nicht wie bei Theatre Of The Mind, wo wir mit
sehr vielen Gastmusikern arbeiteten. Wir sind jetzt mehr überzeugt
von unserer Musik, und das zeigen wir auf Destiny?. Auf
dem nächsten Album werden wir weiter versuchen, an unsere
Grenzen zu stoßen. Die Stücke werden vermutlich länger
sein und komplexer, aber wir werden immer auf der Suche nach der
ultimativen Melodie sein.
Vielleicht finden Mystery sie ja. Wenn das
Schicksal es will.....