Clepsydra:
Neo-Progger aus dem Land der Banken und des Käses
Interview
Mit der Schweiz verbindet ja
man automatisch einige typische Klischees. Spätestens seit 1991
aber mischt die Alpenrepublik wieder ganz vorne an der
Neo-Prog-Front mit - dank Clepsydra. Ich unterhielt mich vor dem
diesjährigen Konzert in Karlsruhe mit Bassist Andy Thommen.
Der Name Clepsydra
stammt aus dem Altgriechischen und besteht aus zwei Teilen: Clep und
Hydra - also stehlen und Wasser. Der Begriff
steht für die Wasseruhr, einen Vorläufer der Sanduhr.
Nimmt man es ganz wörtlich, heißt es einfach Zeit
stehlen. Das machen Clepsydra mit ihrer Musik aber nun
definitiv nicht. Jede Musik, die der Zuhörer in ihre Songs
investiert, ist sozusagen bestens angelegt. Das bewies man bereits
mit dem 91er Debüt Hologram. Eine CD, bei der
übrigens einer der populärsten Künstler der Schweiz
mitwirkte - der Grafiker (und Erfinder der Alien-Figur aus dem
bekannten Science Fiction Filmen) H.R.Giger.
Das Cover selbst stammt von
unserem Grafiker. Die ersten 1500 Kopien von Hologram
hatten ja auf dem Cover ein richtiges Hologramm. Von H.R.Giger
stammt der Gegenstand, der dann holografiert wurde. Es war eine
Gürtelschnalle oder so etwas ähnliches. Er hat sie auch
nicht speziell für uns gemacht, allerdings war sie bis dahin
noch nicht veröffentlicht. Erst später hat er sie
sozusagen offiziell zu einer Gurtschnalle deklariert. Wir haben ihn
gefragt, ob er etwas hat, was man holografieren könnte. Unser
Grafiker kannte ihn einfach, und Giger ist ja auch ein bekannter
Künstler. Es entstand aber mehr aus einem Jux heraus.
Freilich gibt es sonst kaum
Gemeinsamkeiten zwischen den recht bizarren Werken Gigers und den
sehr auf Harmonien basierenden Songs Clepsydras. Worin man mir auch
zustimmt.
Ich weiß, daß einige
von uns Bücher von ihm zu Hause haben, aber eine direkte
Beziehung zwischen unserer Musik und seiner Kunst gibt es eigentlich
nicht.
Nun mag in der Schweiz zwar das
Edelweiß blühen, von einer blühenden Prog-Szene
jedenfalls kann kaum die Rede sein. Eigentlich ist sogar schon der
Begriff Szene reichlich übertrieben. Dabei kann man auch dort
auf eine gewisse progressive Tradition zurückblicken, ich denke
nur an Bands wie Dragonfly oder Deyss. Und vor einigen Jahren gab es
auch eine Bands namens Cye, die einiges Lob erntete.
Deyss kennen wir persönlich.
Sie arbeiten seit Jahren, man kann fast schon sagen seit
Jahrzehnten, an einem neuen Projekt. Über den aktuellen Stand
der Dinge kann ich aber auch nichts sagen. Was Dragonfly angeht,
kenne ich nur den Namen. Zu Cye gab es auch mal Kontakte, aber ich
weiß nicht, ob die noch Musik machen. Von einer Prog-Szene in
der Schweiz kann man also wirklich nicht sprechen. Es gibt einen
Mailorder-Versand und ein Geschäft irgendwo bei St. Gallen,
aber ich beziehe meine Platten auch aus Deutschland. Es gab zwar
einige Male Airplay, da wir auch Radio-Interviews gegeben haben,
aber größeres Interesse der Medien gibt es nicht. Selbst
Interpreten wie Gotthardt oder Andreas Vollenweider sind im Ausland
bekannter als in der Schweiz. Außer D.J. Bobo.
Nachdem auch das zweite Album More
Grains of Sand aus dem Jahre 1994 sehr erfolgreich war, gab es
beim aktuellen Album dann auch den ersten Line Up - Wechsel zu
verzeichnen. Gitarrist Lele Hofmann wurde durch Marco Cerulli
ersetzt. Sicherlich keine einfache Aufgabe, war doch der
Gtitarrensound ein Markenzeichen der Band.
Lele kam eines Tages und hat
gesagt, er will die Band verlassen. Er nannte private Gründe,
die Arbeit an einem neuen Projekt. Marco ist aber mindestens ein
gleichwertiger Ersatz. Wir sind mit ihm sehr zufrieden. Er kennt uns
schon aus der Zeit, als Lele noch bei uns war. Er hat auch bereits
mit Philip an separaten Projekten neben Clepsydra gearbeitet, so daß
es eigentlich nur logisch war, ihn in die Band zu nehmen.
Am Gesamtsound von Clepsydra hat
sich dann ja auch bei Fears nicht viel geändert.
Ich hoffe, daß sich
generell unserer Sound verbessert hat. Was nun speziell Marco damit
zu tun hat, ist natürlich schwer zu sagen, da wir uns mit Lile
vielleicht genauso entwickelt hätten. Marcos Gitarrenspiel ist
etwas aggressiver, aber damit haben wir keine Probleme. Eher ist das
Gegenteil der Fall.
Was aber vielleicht auch dazu führt,
daß man live wesentlich rockiger klingt, als es auf den
Studioalben der Fall ist.
Also Absicht ist das auf gar
keinen Fall. Vielleicht liegt es ja am Mischer. Wenn wir Live
unterwegs sind, müssen wir auch ein Qualitätsprodukt
abliefern. Wir versuchen schon, einen möglichst sauberen Sound
zu bringen, nicht zu laut, wie es viele Bands tun. Viele Band wollen
live rockiger Klingen, aggressiver, wir wollen eher, daß der
Sound bleibt wie auf der CD.
Viele Kritiker sind ja der Meinung,
das Neo-Prog die Bezeichnung progressiv gar nicht
verdient, sondern daß man es eigentlich eher mit
keyboardorientiertem Rock oder gar Pop zu tun hat.
Pop spielen wir sicher nicht,
auch ein Begriff wie Straighter Rock würde auf uns
nicht zutreffen. Prog - Symphonischer Rock, oder Artrock, wie es in
der Schweiz noch heißt, trifft es eigentlich ganz gut. Eine
genauere Zuordnung ist dann schon schwieriger, aber das ist dann
mehr deine Aufgabe. Unsere Musik ist nichts Gewolltes. Es ist
einfach die Musik, die wir fühlen. Was dabei herauskommt ist
dann das, was die Medien Melodic oder Neo Prog nennen. Wir achten
aber sehr darauf, daß unser Sound zeitgemäß ist.
Wir möchten nicht die Sounds der Siebziger kopieren, wie es
immer noch sehr viele Bands machen.
Kommen wir jetzt zur aktuellen CD.
Eigentlich ist Fears ja ein Konzeptalbum geworden.
Das Thema der CD sind
Jugendängste. Wir haben alle ein sehr religiöses Internat
besucht. In dieser Phase des Erwachsenwerdens hat jeder seine Ängste
unterschiedlichster Natur. Es geht um die erste Liebe, das Erkennen
von Wahrheiten und Unwahrheiten, Illusionen, die man als kleines
Kind hat, und die einem dann plötzlich genommen werden. Es
dreht sich alles um diese Schule, die wir besucht haben.
Diskussionen über Religion - ja oder nein -, über Glauben,
über Unsterblichkeit, alles Dinge, die in einem bestimmten
Alter auch Angst machen können. Es geht in Sweet Smelling
Wood zum Beispiel um einen sehr schönen Baum, der seit
Jahren an seinem Platz steht und plötlich vom Blitz getroffen
wird. Er ist dann von heute auf morgen verschwunden. Das sind Dinge,
die muß man lernen zu verarbeiten.
Im (fast) Titeltrack Fear
geht es darum, wie Priester versuchen zu erklären, daß es
ein unendliches Leben nach dem Tod gibt. In Soaked geht
es um einen Alptraum...
Die meisten Leute, die ich kenne,
die haben ihren typischen Jugendalptraum. In meinem Fall springe ich
ins Wasser und weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Ich
weiß nicht mehr, in welche Richtung ich springen muß -
also die absolute Desorientierung. Was natürlich auch als
größeres Konzept gesehen werden kann.
Alles nicht gerade trallala -
Themen, genau wie die Inhalte von The Nineteenth Hole
und The Missing Spark, übrigens mein absoluter
Favorit auf Fears
The Nineteenth Hole
ist die Geschichte eines Klassenkameraden der mit sechzehn an
Leukämie gestorben ist. Er war ein absoluter Golffan und hat
bis zum Schluß Golf gespielt. Er ist auch bis zuletzt zur
Schule gekommen. Er hat nicht aufgegeben, sondern bis zuletzt
gekämpft. Missing Spark behandelt die Suche nach
dem Funken, daß endlich irgendwas losgeht. Irgendwann merkt
man dann, das Leben ist einfach so, es gibt nur ganz selten diesen
Funken, diese besonderen Augenblick. Und wenn er da ist, dann nur
von kurzer Dauer.
Hoffen wir, daß Clepsydra
dieses Erlebnis noch sehr oft haben...