Es gibt nur wenige Bands,
die wirklich für sich in Anspruch nehmen können, eine
bestimmte Musikrichtung maßgeblich mitbestimmt zu haben. Dream
Theater haben dies für den Bereich Progressive Metal definitiv
geschafft - Alben wie When Day And Dream Unite, Images
And Words oder Awake sind schon heute Klassiker.
Die genialen Keyboardparts gingen dabei auf das Konto von Kevin
Moore, der jedoch nach dem 94er Album Awake die
Band verließ. Jetzt liegt mit Chroma Key und Dead Air
For Radios das lang erwarte neue Album des Tastenmagiers vor,
doch wer denkt, Kevin macht dort weiter, wo er mit Dream Theater
aufgehört hat, ist auf dem falschen Dampfer. Einen radikaleren
Stilwechsel hätte man sich nicht vorstellen können.
Bei allen stilistischen Fragen
zum neuen Album, interessiert mich dann aber zunächst doch, als
was Chroma Key nun eigentlich zu betrachten ist - eine Band, eine
Projekt oder doch eher ein Alleingang?
Chroma Key ist schon mehr ein
Soloprojekt. Es ist etwas, was über die Jahre hinweg gewachsen
ist. Nur in der letzten Phase des Songwritings wurden andere Musiker
mit integriert, besonders Mark Zonder. Hauptsächlich hat er
seine Drumparts zu meinen Stücken hinzugefügt, aber bei
zwei Songs, bei Undertow und America The Video
war es umgekehrt, so daß man hier schon von einer richtigen
Zusammenarbeit sprechen kann. Die übrigen Musiker kamen dann
erst hinzu, als wir die Songs aufnahmen. Ich habe schon früher
Songs nur für mich geschrieben. Eines dieser Stücke ist
sogar einmal auf einem Dream Theater - Album gelandet. Space
Dye Vest ist der letzte Song auf Awake, er hat den
anderen wohl so gut gefallen.
In erster Linie besteht die
Verstärkung, die Kevin sich für Chroma Key geholt hat, aus
den alten Kumpels von Fates Warning. Neben dem schon erwähnten
Mark Zonder an den Drums war auch Bassist Joey Vera mit von der
Partie. Fates Warning werden ja von vielen als eigentlicher Erfinder
des Progressive Metals gehandelt, wenngleich auch die erst später
kommenden Dream Theater wesentlich erfolgreicher waren - was aber
nie zu Konflikten zwischen den Bands führte.
Daß ich mit Mark Zonder und
Joey Vera zusammen gearbeitet habe, liegt natürlich einfach
daran, daß wir uns schon seit Jahren gut kennen. Mark hatte
ich schon recht früh Demos geschickt. Er spielt vielleicht die
straighten Sachen lieber, aber ich denke, ihm haben die Songs schon
gefallen. Genauso wie Joey. Keiner hat einen Herzanfall gekriegt.
Na gut, die zwei vielleicht
nicht. Aber so mancher Prog-Metaller wird natürlich bei einem
solchen Album die Welt nicht mehr verstehen. Der Ex-Keyboarder von
Dream Theater, dazu zwei Musiker von Fates Warning - das kann doch
nur die beste Prog-Metal Scheibe des Jahres werden. Und dann
das...Was ist das überhaupt für Musik? Im Vorfeld hieß
es, es ginge in Richtung des Ex-Pink Floyd Bosses Roger Waters, das
Label spricht von Dark Avantgarde....
Ich denke, es ist wirklich
verdammt schwer, diese Musik mit Worten zu beschreiben - auch für
mich. Natürlich kommt man um eine Kategorisierung nicht herum,
aber ist es Avantgarde? Ich weiß nicht, wahrscheinlich nicht.
Ist es Dark? Ich glaube schon. Aber ich denke, es ist immer noch
Popmusik, wenn auch ein wenig abgehoben.
Das ist sicherlich richtig. Nur,
ich wüßte kein Label auf der ganzen Welt, das sich auf
ein wenig abgehobene Popmusik spezialisiert hätte.
Daß sich da ausgerechnet Massacre erbarmt hat...
Zunächst habe ich das Album
völlig unter eigener Regie aufgenommen, ohne Kontakt zu
irgendeinem Label aufzunehmen. Dann habe ich begonnen CDs zu
verschicken, und habe gesagt: O.K., wenn Interesse da ist, dann
rührt euch. Aber natürlich haben die meisten Musik im Stil
von Dream Theater erwartet. Bei Massacre war man sicher genauso
überrascht wie überall, aber sie glauben an das Album und
ich bin sehr zufrieden. Du hast schon recht, es gibt kein Label auf
der Welt, das auf diese Musik spezialisiert wäre.
Und sicher auch keinen
Radiosender. Umsonst heißt das Album ja wohl nicht Dead
Air For Radios.
Der Albumtitel ist mehr eine Art
Wortspiel. Ich hatte einfach nicht vor, radiotaugliche Songs zu
schreiben. Diese Songs würden in den Staaten nie Airplay
kriegen. Es ist kein Hitmaterial. Man sollte das Album mehr als
Ganzes hören, Song für Song, sich einfach die Zeit dafür
nehmen. Es ist allerdings kein typisches Konzeptalbum. Im Gegensatz
zur Musik sind die Texte auch eher komisch. Hier habe ich bewußt
versucht, Kontraste zu dem doch eher schwermütigen Sound zu
setzen.
Schwermütig ist mein
Stichwort. Trauert Kevin nicht manchmal noch den Zeiten mit Dream
Theater hinterher. Man war schließlich richtig gut im
Geschäft.
Nein, die Sachen habe ich
wirklich abgehakt. Ich habe es genossen, als ich auf dem letzten
Fates Warning Album die Keys gespielt habe - es war so eine Art von
Nostalgie. Aber es stand auch nie zur Debatte, fest bei Fates
Warning einzusteigen. In erster Linie habe ich einfach den Bezug zu
dieser Art von Musik verloren, ich habe nicht mehr wirklich an diese
Musik geglaubt. Ich war acht Jahre in der Band und mein
Musikgeschmack hat sich einfach geändert. Es wäre eine Art
Lüge gewesen, weiter in der Band zu bleiben. Ich glaube, die
Trennung war für alle das beste, für mich, für Dream
Theater und auch für die Fans. Es wurde für mich mehr und
mehr zu einem bloßen Job, etwas, was dir nicht mehr richtig
Freude macht. Wir leben jetzt alle unsere eigenen Leben. Dream
Theater sind ständig beschäftigt, auf Tour, im Studio und
so weiter. Und ich ziehe mein Ding durch. Aber ich habe ein Dream
Theater - Konzert in Los Angeles besucht und es war ganz lustig. Wir
haben miteinander gesprochen, du siehst also, so ganz verliert man
den Kontakt nicht.
Dead Air For Radios
ist für mich eigentlich eines dieser typischen Kopfhörer-Alben.
Live kann ich es mir eigentlich gar nicht vorstellen. Kevin schon,
wenn auch nicht gleich morgen.
Das Album ist bisher nur in
Europa erschienen. Ich arbeite noch an Deals für den Rest der
Welt. Wie es aussieht, werde ich erst nach dem nächsten Chroma
Key - Album auf Tour gehen. Ich glaube, es ist sehr gut möglich,
diese Art von Musik live zu spielen. Sie hat eine große
visuelle Komponente, nicht nur dieser typische Headbanger-Stoff. Ich
habe einige Videos gemacht, eher Low-Budget-Geschichten, du wirst
sie also nicht auf MTV sehen können, aber diese Videos könnten
Live gut eingesetzt werden, um die Musik zu unterstützen.
Bleibt noch die obligatorische
Frage nach der Zukunft. Wird Kevin Moore weiter auf Solo-Kisten
setzen?
Ich glaube, im Augenblick war es
richtig, diese Art von Soloprojekt durchzuziehen, weil ich in erster
Linie etwas machen wollte, mit dem vor allem ich zufrieden bin. Aber
ich glaube, in nicht all zu langer Zeit, vielleicht so in einem
halben Jahr, werde ich wieder enger mit anderen Musikern
zusammenarbeiten. Man ist einfach lebendiger so.