Zugegeben, ein wenig
geschummelt ist diese Überschrift schon. Schließlich kann
man ein Telefonat nicht unbedingt mit einem Besuch gleichsetzen, und
außerdem unterhielt sich Empire Mitarbeiter Renald Mienert
nicht mit dem Visitor persönlich, sondern mit zwei seiner
Schöpfer - den beiden Künstlern, die eine der
erfolgreichsten Prog-Band der letzten Jahre ins Leben gerufen haben
- Ex-Marillion Drummer Mick Pointer und
Keyboard-Hans-Dampf-in-allen-Gassen Clive Nolan.
Bereits mit dem Debüt
Songs from the lions cage waren Arena für eine
Prog-Band extrem erfolgreich. Nun könnte man dies natürlich
zunächst vor allem als Erfolg eines cleveren Ausnutzens der
Bedürfnisse vieler Prog-Fans sehen. Alle lieben die frühen
Marillion, während man mit den neuen Sachen doch eher seine
Probleme hat. Irgendeine Marillion-Kopie freilich kann man auch
nicht akzeptieren, aber wenn Mick Pointer selbst, immerhin einer der
Mitinitiatoren des legendären Script For A Jesters
Tear, mit von der Partie ist, hat man es wohl auch kaum mit
irgendeiner Kopie zu tun.
Mick : Das ist das gleiche, als
wenn du Ian Gillan nach seiner Trennung von Deep Purple fragst,
warum sich sein Soloalbum nach Deep Purple anhört. Es ist
normal, daß in meiner Arbeit Einflüsse der frühen
Marillion zu hören sind, denn ich war nun mal ein Teil davon.
Du kannst nicht deine eigene Individualität wechseln. Ich
persönlich sehe schon Unterschiede, bei Arena arbeite ich mit
Clive zusammen, was bei den frühen Marillion eben nicht der
Fall war.
Clive: In jedem Genre gibt es
bestimmte Einflüsse. Vielleicht ist man als Hörer eher in
der Lage, diese zu erkennen, als ein Komponist. Aber wir setzen uns
nicht hin und sagen, so, jetzt laßt uns mal einen Song
schreiben, der nach den frühen Marillion klingt. Für Mick
war Songs from the lions cage das erste Album nach
Script..., vermutlich spielt auch das eine Rolle.
Damit hätten wir das also
geklärt. Und man wird ja mal ein bißchen provozierend
fragen dürfen. Ziemlich auffällig auch die zahlreichen
Wechsel im Line Up in einer doch recht kurzen Zeit. Bis auf Mick und
Clive gab es ja auf jeder anderen Position Veränderungen.
Clive: Ich glaube, solche Dinge
gibt es in vielen Bands am Anfang ihrer Karriere, allerdings spielen
sie sich meistens ab, ohne groß registriert zu werden, weil
die Bands einfach kaum jemand kennt. Bei uns war das anders. Das
erste Album war schon sehr erfolgreich, es gab eine Menge Reviews,
Artikel, Interviews. Und dann sagst du, OK, in genau die
musikalische Richtung will ich, und unglücklicherweise haben
wir genau dann festgestellt, daß nicht alle aus der Band das
wollten.
Zuletzt trennte man sich von
Gitarrist Keith More und ersetzte ihn durch John Mitchell.
Clive: Keith More war immer nur
ein Sessionplayer, war nie ein offizielles Bandmitglied. Wir wollten
aber einen festen Gitarristen und so kam John Mitchel. Er zeigte
sich sehr interessiert an der musikalischen Richtung von Arena und
so war es eine sehr einfache und von allen begrüßte
Entscheidung, ihn in die Band zu holen. Aber man soll sich immer vor
Augen halten, daß das jetzige Line Up schon eine Weile
konstant ist, und immerhin mit der EP, der Live CD und dem aktuellen
Album schon drei CDs veröffentlicht hat.
Als ausgewiesener Nörgler in
Sachen Live-Releases komme ich auch bei Arena nicht drum herum, nach
dem Sinn oder Unsinn eines solchen Unterfangens zu fragen. Zwei
offizielle Studioalben und dann eine Live-CD, das ist doch ziemlich
früh, und außerdem wer braucht das schon.
Clive: Du hast schon recht. Es
gibt sicher einige Punkte, die dafür sprechen, daß es zu
früh war. Es gab ursprünglich keinen Plan für diese
Live-CD. Wir haben das Konzert in Quebec mitgeschnitten, aber da uns
so viele Leute gebeten haben, es zu veröffentlichen, haben wir
schließlich gesagt, OK, wir haben das Material, also machen
wir das Album. Und es wurde sehr gut aufgenommen. Also, war es
wirklich zu früh - ich weiß es nicht. Und wenn schon,
machen wir eben später noch eins.
So hatte ich es eigentlich nicht
gemeint, aber was solls. Gab es anfangs nicht wenige Fans, die
der Meinung waren, Mick wird aus Promotion-Gründen in den
Vordergrund gestellt, das eigentliche Songwriting besorgt Clive,
dürfte sich ja mittlerweile herumgesprochen haben, daß
dem nicht so ist. Beim aktuellen Studioalbum sind dann auch John
Jowitt und John Mitchell in das Songwriting integriert.
Mick: Es war auch bei den beiden
ersten Alben nie beabsichtigt, daß nur Clive und ich die Songs
schreiben. Es gab aber vor allem aufgrund der Line Up-Wechsel vorher
keine andere Möglichkeit. Jedes Mitglied der Band hat die
Möglichkeit, sich am Songwriting zu beteiligen, und genau das
ist auch bei The Visitor passiert. Und das Ergebnis ist
überzeugend.
Es sind doch oftmals die kleinen
Freuden, die das Leben so lebenswert machen. The Visitor
kommt zwar mit einem genialen Artwork daher, das gute alte
Arena-Logo sucht man aber vergeblich.
Clive: O.K, du kriegst es beim
nächsten Album wieder. Das aktuelle Album unterscheidet sich
von den beiden ersten doch gewaltig und hat so ein exzellentes
Artwork, daß wir auf das Logo verzichtet haben. Das Cover hat
uns sehr stark inspiriert. Hugh Sime hat bereits am Artwork
gearbeitet, bevor wir ins Studio gingen. Wir hielten eine
Veränderung für wichtig. The Visitor ist ein
Konzeptalbum, es ist komplett durchkomponiert wie ein einziges
großes Musikstück. Es ist zwar in einzelne Songs geteilt,
und wir hoffen, daß die Songs auch einzeln bestehen können,
aber es ist eine gewisse Kontinuität in den Titeln, die
wesentlich ist für das, was wir vorhatten. Viele Bands, die ein
Konzeptalbum schreiben, verschmelzen die Teile so, daß es sehr
schwierig ist, den einen oder anderen Song separat zu spielen. Uns
war genau das schon wichtig. Wir wollen auch später noch in der
Lage sein, wenn wir noch mehr eigenes Songmaterial haben, den einen
oder anderen besonders populären Song aus The Visitor
einzeln spielen zu können. Live werden wir in der ersten Hälfte
komplett The Visitor vorstellen, und in der zweiten
alles andere.
Womit wir nun an dem Punkt angelangt
sein dürften, an dem wir uns mit den Konzept hinter dem
Konzeptalbum beschäftigen sollten - eindeutig Clive Nolans
Spielwiese. Die Antike hat man ja wohl mittlerweile hinter sich
gelassen. Aber wie sich herausstellt, war man dort auch gar nicht.
Clive: Auf den beiden ersten
Alben verwenden wir viele dieser biblischen und antiken Motive, was
allerdings nicht bedeutet, daß die Themen in diesem Zeitraum
angesiedelt sind. Die tatsächlichen Inhalte sind durchaus
zeitgenössisch. Salomon zum Beispiel handelt nicht
von der Figur Salomons. Wenn man unbedingt The Visitor
einer Zeit zuordnen will, dann würde ich auf keinen Fall das
Mittelalter wählen, sondern eher die viktorianische Epoche. Man
muß dies auch im Zusammenhang mit den Bildern im Booklet sehen
Clown, Vampir, Priester, Dieb - alles sehr klassische, sehr alte
Motive. Aber trotzdem ist zu keiner Zeit beabsichtigt, unsere Alben
bestimmten Epochen zuzuordnen.
Soviel also nun zu dem, worum es
nicht geht. Damit dürften sich ja auch Interpretationen wie
Die Band hat nun das Mittelalter erreicht erledigt
haben. Nun wird es aber Zeit, das Geheimnis des Visitors zu lüften.
Clive: Es ist eine Art moralische
Story, fast ein Märchen. Die Idee ist eigentlich ganz einfach.
Ein Mann stolpert über einen zugefrorenen See. Er ist ziemlich
schlecht drauf, hat Depressionen, Selbstmordgedanken. Und er bricht
ein. Und vielleicht zehn, fünfzehn Sekunden vor seinem Tod
trifft er den Besucher - bei dem kann es sich um alles mögliche
handeln - einen Traum, ein Alien, irgendeine Fantasiegestalt, diese
Entscheidung liegt beim Zuhörer. Die Leute sollen ihre eigenen
Antworten finden. Der Besucher nun stellt die Verbindung zu diesen
vier klassischen Charakteren dar, und jeder von ihnen spiegelt einen
bestimmten Teil des Bewußtseins dieses ertrinkenden Mannes
dar. Daraus wird so eine Art Unterricht für den Mann. Er lernt
über das Leben nachzudenken, über die Gründe zu
leben. Es ist eine moralische Geschichte, vergleichbar vielleicht
mit dieser Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Oder mit diesem
Film mit James Stewart Its a beautiful live. Eine
Person, die jeden haßt, trifft einen Geist, und dieser Geist
lehrt sie viel über das Leben und danach hat sich ihr Charakter
gewandelt. Unsere Geschichte ist eine etwas dunklere Version davon.
Eine Geschichte mit offenem Ende. Es ist wirklich viel davon in den
Texten enthalten, aber es hängt natürlich vom Hörer
ab, wie tief er sich damit auseinandersetzt.
Nun drängt sich bei einem
solchen Thema die Visualisierung förmlich auf, ähnlich wie
es Marillion mit Brave gemacht haben. Und wer sich einen
Nummer-Eins-Produzenten wie Simon Hanhart und den schon erwähnten
Hugh Syme für das Artwork leisten kann, für den ist doch
sicher noch ein Video drin.
Clive: Wir könnten es
wahrscheinlich wirklich, aber wer soll es senden. Wir haben wirklich
darüber nachgedacht. Eben weil ein Album wie The Visitor
eine optimale Möglichkeit für ein Video bietet.
Mick: Wir haben alles daran
gesetzt, zunächst einmal ein fantastisches Album zu
realisieren, und das haben wir auch geschafft. Und das ist es auch,
was die Leute im Augenblick von uns erwarten.
Was mich an Arena neben der Musik
besonders beeindruckt, ist die Professionalität, mit der hier
Nägel mit Köpfen gemacht werden. Als ich mich während
der Pride-Tour mit Clive und Mick unterhielt, sagten sie
mir, es gäbe eine The Cry - EP, ein Konzeptalbum
(kein Wischi-Waschi) und vielleicht ein Live-Album.
Erzählen kann man viel, aber das es so funktioniert, und auch
noch im geplanten Zeitrahmen, ist schon ungewöhnlich.
Mick: Es gab diesen Fünf-Alben
Plan. Das bedeutet nicht, daß wir nach fünf Alben
aufhören, aber es legte die Richtung für die ersten fünf
bis zehn Jahre fest. Wir machen solange weiter, wie die Leute unsere
Musik mögen. Es macht nicht gerade Sinn, Musik zu machen und
keiner kauft unsere Alben. Wir haben beschlossen, daß das
dritte Album ein Konzeptalbum wird, und wir haben gesagt, daß
die ersten zwei und das Album Nr. vier und fünf jeweils
inhaltlich zusammenhängen würden. Genau wie wir Live-Alben
geplant hatten, auch wenn das erste so nicht unbedingt beabsichtigt
war. Du siehst, wir sind für die nächsten Jahre wirklich
gut organisiert. Wenn wir uns dann wieder unterhalten, werden wir
sicher Neues sagen können.