Arne Schäfer ist als
Mitglied von Versus X zumindest für Insider eine feste
Größe. Mit Apogee hat er aber ein genauso
anspruchsvolles Solo-Projekt am Start.
Warum hast Du eigentlich Apogee
neben Versus X ins Leben gerufen? Musikalisch liegen doch beide
Projekte ziemlich eng beieinander.
Apogee erlaubt mir meine Ideen in
ungefilterter Form zu verarbeiten und ist somit quasi ein direktes
Abbild meiner "musikalischen Seele". Wegen der gleichen
Stimme sind die Parallelen zu Versus X natürlich
offensichtlich, in bezug auf Themen und Arrangements bestehen aber
deutliche Unterschiede. Bei einer Band mit gleichberechtigten
Mitspielern sollte man immer bestrebt sein Kompromisse zwischen den
einzelnen Positionen zu finden damit sich alle Beteiligten im
Endresultat wiederfinden. Dieses Vorgehen bedingt oft langwierige
Diskussionen. Dafür ist das Endergebnis in den meisten Fällen
dichter und ausgefeilter als bei einem Solomusiker da viele
Detailverbesserungen durch die einzelnen Musiker vorgenommen werden.
Es dauert allerdings wie gesagt sehr lange bis sich das fertige
Stück herauskristallisiert und jeder am Kompositionsprozeß
Beteiligte hat diverse Zugeständnisse machen müssen.
Deshalb sehe ich Apogee als ein ideales Parallelprojekt zu Versus X
bei dem ich völlig unabhängig und ohne jegliche Vorgaben
von Außen meine Ideen realisieren kann. Abgesehen davon wäre
ein doppeltes Pensum mit Versus X rein vom Zeitaufwand undenkbar.
Solo kann man naturgemäß wesentlich schneller und
effizienter arbeiten. Diese beiden Möglichkeiten musikalische
Entfaltung gleichzeitig zu haben empfinde ich als großes
Privileg.
Zwischenzeitlich hast Du dich ja
mal nach einem anderen Label umgesehen, bist dann aber doch bei
Musea geblieben.
Vor etwa einem Jahr gab ich Musea
ein Demo auf dem zum Teil andere Stücke enthalten waren als
später auf Sisyphos herausgekommen sind. Ich hatte wohl einen
schlechten Tag bei den Musea Leuten erwischt denn ich erhielt nur
eine kurze Nachricht ohne weitere Begründung, Musea hätte
kein Interesse. Ich war natürlich erst mal ziemlich
niedergeschmettert und beschloß mich nach einem anderen Label
umzusehen. Kurz darauf bekam ich mehrere Info/Interview Anfragen von
anderen Musea Mitarbeitern die Versus X "Disturbance" als
eine der besten Alben der letzten Zeit bezeichneten. Etwas
verwundert schrieb ich ein P.S. an Philippe Arnaud wie denn diese
Einschätzung mit der Ablehnung des neuen Apogee Materials
zusammengehen könne. Daraufhin war er sehr verwundert, besorgte
sich das Demo und befand, zusammen mit Bertrand Pourcheron und
Philippe Gnana, das zwei der Stücke ihrer Ansicht nach auf
jeden Fall eine Musea Veröffentlichung rechtfertigen, die zwei
anderen Stücke jedoch stark abfallen würden und daß
dies wahrscheinlich auch der Grund für die vorhergehende
Ablehnung seitens anderer Musea Mitglieder gewesen sei. Ich konnte
diese Differenzierung zwar nur teilweise nachvollziehen aber mit der
mir dann offerierten Alternative sehr gut leben. Bertrand schlug vor
die Stücke welche nicht so gut ankamen für die CD durch
andere ältere Stücke zu ersetzen. Da ich zu dieser Zeit
gerade dabei war das Stück "Sisyphos" aufzunehmen
warteten wir ab bis es fertig war und verwendeten dann zusätzlich
noch zwei ältere kürzere Stücke. Ich habe das
neuerliche Angebot von Musea natürlich gerne angenommen da
Musea meines Wissens das größte Prog Speziallabel ist und
über einen internationalen Vertrieb verfügt. Es ist schon
nett wenn man Feedback aus entlegenen Ländern bekommt. Die
Stücke die nun nicht auf Sisyphos erschienen sind werde ich bei
Gelegenheit in sehr kleiner Auflage auf recordable CD´s für
die die-hard Fans herausbringen wie schon die Versus X live CD im
Februar 98 (direkt to 2-track, ohne Nachbearbeitung). Diese CD´s
und diverses älteres Material sind direkt von mir erhältlich.
Näheres steht in den Apogee und Versus X Websites. Meine
Kontaktadresse ist: Arne Schäfer, Leopoldstr. 14, 63165
Mühlheim am Main, Tel.: 0603977178, e-mail: Ngc1234@aol.com
Versus X Website:
http://members.aol.com/Ngc1234/versusx
Apogee Website:
http://members.aol.com/Ngc1234
Für ein Prog-Album den
Titel Sisyphos zu wählen, könnte man ja schon
symptomatisch nehmen. Man rackert sich ab, wird aber von einer
kleinen Szene akzeptiert.
Das Stück "Sisyphos"
beschreibt die nie endende und beschwerliche aber dennoch hoch
faszinierende Suche nach der ultimativen wissenschaftlichen
Erkenntnis, vor allem hinsichtlich der Bestrebungen die großen
Theorien zur Entstehung des Universums zu vereinheitlichen. In bezug
auf mein Werk steckt der Sisyphos sicher in der gnadenlosen
Selektion von brauchbaren Themen, Melodien und Harmonien, indem man
immer nur die besten Ideen verwendet und immer wieder bereits
ausgearbeitete Arrangements verwirft, substituiert oder neu
strukturiert auf der Suche nach dem optimalen musikalischen
Resultat.
Oder sind die Progger an ihrer
Situation vielleicht auch selbst Schuld? Vielleicht ist man ja gar
nicht so progressiv, wie man sich gerne sieht?
Die Prog Szene krankt meiner
Ansicht nach eindeutig an mangelnder Qualität und Originalität
vor allem in kompositorischer Hinsicht. Bei den meisten neuen Prog
Produktionen habe ich sehr schnell den Eindruck daß die
verwendeten Stilmittel zu offensichtlich und althergebracht sind.
Ich lasse mich gerne überraschen aber das schaffen nur sehr
wenige neue Bands. "Nukleus" von Anekdoten und "Epilog"
von Anglagaard" finde ich z.B hervorragend. Yes, Gentle Giant,
Jethro Tull, Genesis, King Crimson sind schon zurecht Ikonen des
Prog geworden denn die Qualität und Dichte des besten Materials
dieser Bands ist bis heute unerreicht. Insgesamt würde ich
sagen ist die Prog Szene viel zu selbstverliebt und hat zu viele
Scheuklappen in wirklich neue und aufregende Bereiche vorzustoßen.
Dies ist im übrigen in der Literatur sehr ähnlich wenn man
den Science Fiction Bereich anschaut. Dort gibt es auch jede Menge
Schund und nur einige wenige Perlen, z.B. Stanislaw Lem, die in der
Flut von Veröffentlichungen untergehen.
Auf dem aktuellen Album werden
drei Longtrax von zwei kürzeren Stücke umrahmt. Das klingt
nach Absicht...
Nachdem ich mich mit Musea auf
die Trackliste geeinigt hatte wollte ich ursprünglich die
kurzen Stücke zwischen die drei langen plazieren. Bertrand und
Philippe machten dann den Vorschlag die langen Stücke
einzurahmen was ich nach kurzem Nachdenken als sehr reizvoll
empfand, da es recht außergewöhnlich ist. Du weißt
ja, ich schwimme gerne gegen den Strom.
Du arbeitest mit einem
Drumcomputer, dafür kriegt ein Progger ordentlich Schelte....
Natürlich würde ich,
wie wahrscheinlich jeder Komponist im Prog Bereich, ein echtes
Schlagzeug vorziehen sofern ich die Wahl hätte. Ein echtes
Schlagzeug besitzt in den meisten musikalischen Situationen mehr
Nuancen und spielerische Details die sich auch durch gute
Programmierung nicht nachstellen lassen. Leider bin ich als
Nichtprofi nicht in der Lage genug Zeit aufzuwenden um noch eine
zweite Band zusammenzustellen um mein Apogee Material live zu
präsentieren und aufzunehmen. Zudem bin ich überzeugt, daß
mit guter Programmierung und guten Schlagzeug Samples (Sounds)
durchaus sehr gute Resultate zu erzielen sind, die von den meisten
Laien nicht von einem echten Drumset zu unterscheiden sind. Selbst
ich muß bei manchen Produktionen erst mal genau hinhören
ob es sich um ein echtes oder programmiertes Schlagzeug handelt. Ein
sehr "straight" programmierter Drumcomputer ist heute
schon fast nicht mehr als Maschine identifizierbar. Die Ablehnung
von programmierten Drums ist bei den meisten Hörern eher ein
psychologischer Effekt. Sehr schön zu sehen ist dies wenn man
den hartgesottenen Gegnern von Sample Drums mal die Aufgabe gibt
herauszuhören ob die Drums echt sind oder nicht und diese dann
doch etwas ins Schleudern kommen. Für meine Begriffe ist die
Qualität der musikalischen Komposition ohnehin wesentlich
wichtiger als die Frage ob etwas gespielt oder programmiert ist. Die
Amerikanische Band Magellan z.B. haben auf ihren ersten 2 CDs Sample
Drums verwendet und auf der 3. CD dann einen echten Drummer. Der
Gesamtsound ist nun sicher realistischer als vorher aber ich finde
die ersten beiden Produktionen dennoch besser da dort das
musikalische Material überzeugender ist und dies für mein
Empfinden einfach schwerer wiegt. Die diesbezügliche
Empfindlichkeiten und Vorlieben sind natürlich bei jedem Hörer
unterschiedlich.
Welche Priorität haben die
Texte bei Apogee?
Was mich bezüglich Gesang am
meisten interessiert, ist die stimmliche Artikulation, da dieses
Element die direkteste zwischenmenschliche Kommunikationsmöglichkeit
darstellt. Insofern ist der Inhalt der mit den Texten vermittelt
wird nicht so extrem wichtig. Ein wichtiges Ausdrucksmittel sind
allerdings textliche Assoziationen kombiniert mit musikalischen
Strukturen. Ian Anderson von Yes hat es bei Close to the Edge z. B.
hervorragend verstanden lose textliche Assoziationen in sehr
poetische Lyrik zu verschmelzen die viel emotionale Qualität
aber nicht unbedingt viel konkreten Inhalt vermittelt. Im übrigen
mag ich es nicht besonders wenn allzu konkrete "Messages"
in Songtexten vermittelt werden. Ich spinne meist ebenso lose
Assoziationen um ein Hauptthema in denen dann durchaus Aussagen und
Standpunkte enthalten sind, allerdings in stark verschlüsselter
und poetisierte Form, die den geneigten Hörer zu allerlei
Interpretationen einlädt. Meine Texte sind relativ lang da ich
häufige musikalische Wiederholungen nicht besonders mag und
mich von guter progressiver Musik am liebsten häufig
überraschen lasse. Es gibt für mich nichts schlimmeres als
an jeder beliebigen Stelle im Song schon beim ersten immer gleich zu
ahnen wie es weitergehen wird. Dies bedingt naturgemäß
relativ lange Texte, abhängig vom Verhältnis von
instrumentalem zu Songmaterial.
Musea als Label agiert ja
immerhin weltweit. Wie sieht es denn so mit dem Feedback aus?
Aus allen Ländern ist
natürlich stark übertrieben aber ich habe vornehmlich über
das Internet schon Reaktionen und Korrespondenz aus entlegenen
Ländern erhalten, wie z.B. Mexiko, Argentinien, USA, Kanada.
Das meiste Feedback kommt aus Frankreich, Holland und Deutschland.
Vor kurzem habe ich zwei "Playlists" von Radiosendungen
aus Holland und Kanada bekommen. Darin wurden je eines der 20
Minuten Stücke von Sisyphos in voller Länge gespielt, was
mich sehr gefreut hat.
Du hast dich ja auch
musiktheoretisch mit Prog, speziell mit dem Mythos der langen
Nummer, auseinandergesetzt. Und du gehst auch gleich daran, deine
Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen.
Aus meiner langjährigen
Hörerfahrung habe ich aus den für meinen Geschmack besten
Prog Stücken versucht einige allgemeingültige Prinzipien
herauszukristallisieren, die ein hervorragendes Werk auszeichnen
(siehe mein Essay über Prog in der Apogee Website
http://members.aol.com/ngc1234/
Trotz dieser Erkenntnisse kann
ich im Vornherein nie genau sagen in welche Richtung sich eine
meiner Kompositionen entwickeln wird. Der stärkste
Einflußfaktor ist hier das musikalische Ideenmaterial welches
zur Verfügung steht. Dieses bestimmt die potentiellen
Möglichkeiten bezüglich Arrangement und musikalischer
Ausarbeitung eines Stückes wesentlich. Daher kann ich im
allgemeinen erst einige Zeit nach Fertigstellung eines neuen Stückes
beurteilen wie nahe ich meinem musikalischen Ideal gekommen bin. Man
wird nämlich stark "Betriebsblind" während der
Realisierung eines solchen großen Projekts, so daß es
einiger Zeit bedarf um eine relativ unbeeinträchtigte
Selbstbeurteilung zu wagen. Die meisten großen Komponisten und
Musiker sind sich zum Zeitpunkt der Entstehung selbst nicht bewußt
gewesen daß sie gerade ein epochales Werk geschaffen hatten.
Dazu wird es erst durch Aufnahme durch das Publikum. Als Komponist
ist man selten absolut zufrieden mit dem Ergebnis und das ist auch
gut so denn mit völliger Zufriedenheit fehlt der Antrieb für
weitere Experimente und Perfektionierung.
Du hast vorhin den polnischen
Science Fiction Autor Lem erwähnt. Sicher mag er weit über
dem Durchschnitt liegen, aber Werke wie Summa Technologia
sind ja nun wirklich nur noch für einen Bruchteil der Leser
verständlich. Wo ist aber dann der Sinn von Kunst, wenn sie
keiner mehr versteht?
Damit spricht Du ein sehr
grundlegendes Problem der Kunst im Allgemeinen an. Die "Summa
Technologiae" von Stanislaw Lem z.B. ist
bestimmt in erster Linie für Leute geschrieben worden, die
bereits über ein einschlägiges naturwissenschaftliches
Grundwissen verfügen. Ich für meinen Teil habe Chemie
studiert und kenne daher viele der dort geschilderten Zusammenhänge
schon vom Studium her im Ansätzen. Für jemanden der dies
nicht besitzt ist solches Material sicher nur schwer zugänglich.
Auf der anderen Seite ist genau dies auch im Prog der Fall. Die Prog
Gemeinde grenzt sich doch genau dadurch von der breiten
Mainstream-Masse ab, daß sie eine gewisse Vorbildung bezüglich
komplexe Strukturen, schräge Takte und Harmonien, etc. zu
besitzen glaubt. Auf Grundlage einer solchen erweiterten Basis sind
dann wesentlich weitergehende musikalische Exkursionen möglich,
die allerdings mit steigendem Schwierigkeitsgrad nur von einem immer
kleineren Hörerkreis geschätzt werden. Von diesen dann
allerdings häufig um so fanatischer. Und genau dies ist doch
der Anspruch welchem die Prog Musik gerecht werden möchte, geht
man davon aus, daß der Terminus "progressiv"
wörtlich gemeint ist. Eine Avantgarde ist für meine
Begriffe sehr wichtig für die gesamte musikalische Entwicklung
auch des Mainstream, denn allmählich sickern Elemente die
zunächst durch die Avantgardisten ausgelotet und etabliert
wurden, auch in die populäre Musik ein und gehen darin auf. Das
theoretische Werk von Lem, vor allem "Summa Technologiae"
ist für mich eines der wichtigsten Einflüsse überhaupt.
In seiner typischen, sehr humorvollen Art geht er von
technologischen und erkenntnistheoretischen Grundprinzipien aus und
denkt mögliche Entwicklungen durch, macht aber dann nicht Halt
und erkundet vor allem die Konsequenzen derartiger Entwicklungen
sowohl in technologischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht.
Auf diese Art hat er bereits in den 60ger Jahren die Konsequenzen
des "Cyberspace" durchdacht, damals noch eine sehr
utopische Möglichkeit die technologisch noch in weiter Ferne
lag. Eine derartige Vorgehensweise führt automatisch zu
philosophischen Exkursionen verschiedener Art in denen Lem sehr
ausschweifend verschiedenste Themenbereiche anschneidet. Viel von
dem was Lem an philosophischen Ansätzen dort entwickelt hat,
hat mein eigenes Denken stark beeinflußt und wird in vielen
meiner Texte reflektiert. Auf der anderen Seite sehe ich durchaus
die Wichtigkeit der Vermittlung zwischen Avantgarde und Mainstream.
Musikalisch ist die z.B. Genesis oder Jethro Tull hervorragend
gelungen einerseits sehr komplexes musikalisches Material zu
komponieren, es aber andererseits in einer Art zu tun, so daß
auch ein nicht eingeweihter Hörer genug Ansatzpunkte findet um
in die Musik "hereinzufinden". Die besten Werke aus den
70gern sind sowohl musikalisch sehr anspruchsvoll und aufregend als
auch sehr unterhaltsam zu hören. Dies ist auch mein
angestrebtes Ideal.
Ich sehe mich irgendwo im
Niemandsland zwischen Etablierten Prog Mustern wie die frühen
Jethro Tull, Genesis, Yes, von mir aus auch Marillion, und eher
avantgardistischen Gruppen wie Univers Zero, Present, 5UUs, etc.
Musikalisch gefallen mir meist die Gruppen diese Übergangsbereichs
am besten wie Gentle Giant, King Crimson, Anekdoten, Anglagaard und
die komplizierteren Sachen der Prog Klassiker.
Ich würde mir wünschen,
daß sich alle diese musikalischen Gruppierungen, statt sich
abzuschotten, in einem konstruktiven musikalischen Dialog befänden.