Ad Infinitum aus den USA
haben im vergangenen Jahr mit ihrem Debüt für einigen
Gesprächsstoff in der Szene gesorgt. Tip des Monats
im Empire auf der einen Seite, aber es gab auch Stimmen, für
die das Album nur eines von vielen Retro-Prog-CDs darstellte.
Empire wollte von Todd Braverman und Craig Wall genaueres wissen.
Ihr habt gesagt, es war eure
Absicht, ein Album im Stil des Progressive Rock der frühen
Siebziger zu machen. Das habt ihr auch prima hingekriegt, nur ist es
ja gerade das, was man dem Prog der Gegenwart immer vorwirft. Ich
höre schon wieder die Sprüche: Wie soll etwas
progressiv sein, was lediglich Bands wie Genesis oder Yes kopiert?
CRAIG: Laß mich folgendes
entgegnen. Wir spielen im Stil einer Musik, die in den späten
Sechzigern bis durch die Siebziger eine gewisse Popularität
genoß. Ja, was damals progressiv war, ist es heute nicht mehr.
Wir sind uns voll der Tatsache bewußt, daß unsere Musik
völlig von einigen Bands dieser Periode inspiriert ist.
Progressiv ist bestimmt nicht der richtige Ausdruck für
das, was wir machen. Eigentlich machen wir nichts anderes, als viele
andere Popbands auch. Wir nehmen einen Haufen hervorragender
Instrumente und machen Musik, die so klingt, wie vor etlichen
Jahren. Bei anderen klingt das wie ABBA, oder wie Black Sabbath oder
wie Led Zeppelin. Wir haben diese Musik gewählt, weil sie in
uns steckt, sie ist anspruchsvoll und sie rockt eben
Progressive Rock.
TODD: Zunächst einmal
Ich bin ein totaler Prog-Fan. Ich lebe und atme dieses Zeug. Ich
höre diese Musik der Siebziger mit einer Art von Bewunderung
und Ehrfurcht. Ich liebe den Klang der Synthesizer, der
Hammondorgeln, die Texte, das Können wenn es um das Songwriting
und um die Arrangements geht. Zu dem Gesagten nun, ich
glaube, diese Leute nehmen den Begriff progressiv etwas
zu wörtlich. Yes und Genesis haben Musik gemacht, die
progressiv bezeichnet wurde. Andere Bezeichnungen dafür
sind ja auch Symphonic Rock oder Art Rock.
Es bedeutet nicht unbedingt, daß man Musik im Sinne von etwas
neues entwickeln machen muß. Wir schreiben und spielen
Musik im selben Stil wie Yes und Genesis. Aber wir werden nie wie
diese Bands sein, denn wir sind einfach verschiedene Personen mit
unterschiedlichen Einflüssen. Wenn du anfängst, selbst
Musik zu machen, mußt du irgendwo anfangen. Wir haben eben mit
Yes und Genesis angefangen, tatsächlich sind wie aber auch von
zahlreichen anderen Bands beeinflußt. Manchmal brauchen
Kritiker auch etwas zu kritisieren. Sie stecken die Bands in eine
Schublade und kritisieren dann, daß sie in diese Schublade
paßt. Um ehrlich zu sein, ich habe eine Menge Prog-CDs
über die man sagt, sie klingen wie diese Bands. Aber letztlich
kamen sie nie an die Originale heran. Ich hoffe also sogar, daß
wir ein wenig wie sie klingen, so daß die Käufer nicht
genauso enttäuscht werden, wie ich.
Aber klingt ihr manchmal
nicht doch vielleicht zu sehr nach Genesis?
CRAIG Nun, es tut mir leid zu
hören, daß wir ZU sehr nach ihnen klingen. Genesis waren
eigentlich nie die Band, die mich am meisten beeinflußt hat.
Ich mag eigentlich mehr Yes, Pink Floyd, Rush, Kansas oder King
Crimson. Ich hoffe, daß man auch davon ein wenig hört!
TODD Ich bin wirklich
neugierig herauszufinden, welche Teile genau, denn du wärst
wahrscheinlich überrascht, was uns tatsächlich für
die entsprechende Parts inspiriert hat. Das einzige, was vielleicht
wirklich nach Genesis klingt, ist das Ende von All Hallows
Eve, aber tatsächlich ähnelt es mehr einem
bestimmten Song aus Steve Hacketts Voyage Of The
Acolyte Album, als irgendeinem Genesissong. Um ehrlich zu
sein, Craig denkt, es klingt wie Suite Madam Blue, also
was solls.
Was Reviews angeht, sind Leute
ziemlich oft auf dem Holzweg, wenn es darum geht, was tatsächlich
welchen Song beeinflußt hat. Zum Beispiel hat jemand gesagt,
A Winters Tale klingt wie Suppers
Ready. Ziemlich weit daneben. Wir lassen uns auch eher davon
beeinflussen, wie andere Songs abgemischt oder arrangiert wurde. Zum
Beispiel die Vocals in Overland. In der ersten Strophe
sind die Lead Vocals rechts, der Harmoniegesang links. In der
nächsten Strophe sind die Lead Vocals in der Mitte. Das war von
Perpetual Change inspiriert, mit der rufenden und
antwortenden Stimme. Aber klingt Overland wie Perpetual
Change? Ich denke nicht. Jeder Song beinhaltet Ideen aus
anderen Quellen, wenn du das alles mischt, entsteht etwas Neues und
Unverbrauchtes.
Aber könnt ihr euch
nicht den Vorwurf einhandeln, keine eigene Identität als Band
zu haben?
TODD - Prog Fans wie in jedem
anderen Genre lieben es, neue Gruppen mit alten zu
vergleichen, sie suchen etwas bekanntes, um die Sounds der neuen
Band zu beschreiben. Wie gesagt, ich bin nicht Tony Banks. Ich kenne
kaum einen Genesissong für Note. Ich schreibe, was ich
schreibe, aber ich versuche nie, irgend etwas zu kopieren. Ich mag
Konzepte anderer Songs übernehmen, aber nie die eigentliche
Musik. Unter Konzept verstehe ich einen bestimmten Sound, ein
Arrangement, die Instrumentierung - aber nie ein Note. Wenn wir der
Meinung sind, etwas klingt wirklich zu ähnlich, dann verwerfen
wir es. Manche Bands haben es nie geschafft, diese Ähnlichkeiten
hinter sich zu lassen oder die Medien haben es gar nicht
zugelassen. Marillion haben Jahre gebraucht, diesen Vorwurf eines
Genesis-Abklatsches hinter sich zu lasen. Dabei haben sie schon als
Fugazi erschien überhaupt nicht mehr geklungen wie
Genesis. Ich bin sicher, wir werden irgendwann einen wirklich
eigenständigen Sound als Band haben, solange bin ich froh, wenn
man - in einem nicht abwertenden Ton über uns sagt, wir
klingen wie Yes, Genesis und Pink Floyd.
Es gibt auf dem Album ja
nicht nur typische Prog-Kompositionen. Immortality
klingt über weite Strecken eigentlich mehr wie ein "normaler"
Rocksong...
CRAIG: Nicht mehr, als
Perpetual Change oder I've Seen All Good People
oder eine Menge Marillion-Songs, oder Money. Übrigens,
was ist eigentlich ein normaler Rocksong? Led Zeppelin
(eine Band, die wie ich meine normale Rocksongs geschrieben hat)
klingen bei Stairway To Heaven und No Quarter
wie eine Progband. Bei manchen Songs haben sie auch ein Mellotron
eingesetzt. Was machen wir denn nun? Sieht so aus, als hätten
sie eine Prise Prog in ihren Rock gemogelt. Verdammt, Cocktails
machen dich fertig!
Aber Spaß beiseite,
"Immortality" ist ein Song über ein Abenteuer. Er
beginnt damit, daß jemand sich auf eine Quest begibt, um seine
eigene Sterblichkeit zu finden. Deshalb ist der Beat auch ein wenig
wie ein Marsch, unser Abenteurer ist optimistisch. Es folgt dann
eine akustische (normale?) Passage, Zeit sich unter einem Baum
auszuruhen und sich ein paar Gedanken zu machen. (Das zeigt sich
hier übrigens auch ziemlich deutlich im Text.) Unser Abenteurer
ist ausgeruht, steht auf und erkennt die Frustration seines eigenen
Seins. Er findet keine Antworten, erkennt, daß es auf seine
Fragen keine gibt, daß ihm aber dafür eine Lektion
erteilt wurde ("Mirror Mirror on the wall, you don't show me
anything at all. . ."). Wütend beschließt unserer
Abenteurer sich selbst umzubringen und stürzt sich einen
steilen Felsen hinunter, was sich im Gitarrensolo zum Schluß
widerspiegelt, daß manchmal ziemlich schräg klingt.
Furcht, Unentschlossenheit und Verwirrung am Ende des Lebens. Das
war die beabsichtigte Wirkung.
TODD Warum sollte Prog
nicht auch rocken? Erzähl das bloß nicht Rush! Aber
zurück zu Immortality. Ich bin vielleicht nicht
gerade eine Virtuose, aber ich glaube meine Stärke besteht
darin, von Bruchstücken ausgehend Songs zu arrangieren und
bereits den ganzen Song in meinem Kopf zu hören. Craig kann ein
Riff spielen und das kann Ideen erzeugen, wie sich das ganze Stück
entwickeln könnte. Für mich ist Immortality
ein Beispiel für typisch progressives Songwriting, ohne daß
man zwangsläufig irgend etwas kopiert. Wenn das wie ein
normaler Rocksong klingt, auf welchen CDs sind
dann diese anderen Songs? Die würde ich gerne mal hören!
Todd hat ja vorher bei
Cathedral gespielt. Wie kam es zur Trennung und gibt es die Band
noch heute?
TODD Ich habe nichts
positives zu Cathedral zu sagen außer: Möge die
Band in Frieden ruhen. Ad Infinitum ist das, was Cathedral
werden sollte, es aber wegen der Halsstarrigkeit einiger
Bandmitglieder nie geworden ist. Ich glaube, daß die Band in
den Köpfen einiger Bandmitglieder noch existiert, jedenfalls
bastelt man gerade an einer Website für die drei oder vier
Leute, die auf diese Sachen stehen. Was solls, Ad Infinitum
klingen nicht wie Cathedral und was mich angeht, ist das gut so.
Aber wie sagt man: Vorwärts zu besseren und größeren
Dingen.
Im Booklet eurer CD war zu
lesen, daß Todd Craig einer Art Progressive Rock Prüfung
unterzogen hat, bevor er einverstanden war, mit ihm zu arbeiten.
CRAIG Es ging über
Monate! Nur um herauszufinden, was ich wirklich über Prog
wußte. Es war eine Art Schlacht der Prog-Experten,
ziemlich abgefahren. Er wollte unbedingt mit jemandem arbeiten, der
diese Musik auch wirklich zu schätzen weiß. Eines Tages
sprachen wir dann über irgend etwas, in dem das Wort Flower
vorkam. Und ich fragte A Flower? in meinem schlimmsten
Peter Gabriel Akzent. Ich denke, das hat den Ausschlag gegeben. Und
bloß, um dann zu erkennen, daß Todd viel mehr über
Prog weiß als ich.
TODD Man versucht eben aus
den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Nach Cathedral wollte ich
sicher sein, daß ich mit wirklichen Prog-Fans arbeite, nicht
mit Leuten, die von Yes nur Owner of a Lonely Heart
kennen, oder ein paar Bassriffs von Chris Squire oder mal Squonk
im Radio gehört haben. Ich wollte diesen Seventies Prog und ich
wollte mit Musikern arbeiten, die die gleiche Vision haben. Mit
Craig und Mike Seguso habe ich die richtigen Partner gefunden. Mike
habe ich übrigens über eine Anzeige kennengelernt. Er
suchte Leute für eine Genesis-Coverband und ich habe ihn dann
überzeugt, daß es mehr Spaß machen würde,
selbst Songs zu schreiben. Ich gab ihm die Musik für den Song
Ad Infinitum und nach ein paar Tagen kam er mit den
Texten zu der Melodie zurück. Wir lieben dieses Genre. Ich mag
auch jede andere Art von Musik, aber schreiben möchte ich nur
diese.
Wie funktioniert das
Songwriting innerhalb der Band?
CRAIG Als ich mich mit
Todd zusammentat, hatte er bereits eine Art Skelett als Basis für
einige Songs. Wir fügten Dinge hinzu oder entfernten andere,
manchmal wurde der Song total umgekrempelt. Jeder der will, kann
Teile von Songs verändern, wenn er auch die Verantwortung dafür
übernimmt, daß es hinterher wirklich gut ist. Ich habe
Gitarrensoli, Basslinien und die Drumparts geschrieben, Goose hat
die Vocallines verändert, wenn er es für nützlich
hielt und von Todd kamen ebenfalls Gitarrensoli und akustische
Elemente. Alles in Allem: Du hast es geschrieben, also spiele es
auch. Aber jeder kann einen Song verbessern soviel er will, wenn wir
alle es mögen. Andere Songs entstanden aber auch einfach nur
während Jam-Sessions.
TODD Die Songs bestehen für
gewöhnlich aus verschiedenen Teilen, die wir dann
zusammenfügen. Wir verwenden viel Zeit damit, diese Links so zu
gestalten, daß sie möglichst fließend vonstatten
gehen. Wir diskutieren, wie sich ein Song entwickeln soll, welches
Gefühl, welche Dynamik, welcher Sound. Wir ersetzen ganze
Abschnitte, bis wir schließlich die optimale Variante für
einen Song gefunden haben. Zum Schluß suchen wir die Sounds,
die am besten zu dem jeweiligen Song passen. Unsere Idee war, soviel
wie möglich analoge Klänge einzusetzen, um dem Sound der
Siebziger möglichst nahe zu kommen. Deshalb arbeiten wir mit
Hammondorgeln, Mellotrons, dem Arp Pro-Soloist Mono-Synth (den Tony
Banks bei Selling England by the Pound verwendet hat),
Minimoogs usw. Neo-Prog Bands klingen für mich immer zu steril,
weil sie soviel digitales Equipment verwenden. Wir nehmen das, mit
dem schon in den Siebzigern gearbeitet wurde, in einigen Fällen
auf die Technik der Neunziger upgedated.
Ihr habt ja schon was über
den Inhalt von Immortality erzählt. Wie sieht es
mit den anderen Texten aus?
TODD Ich liebe Texte, die
Geschichten erzählen. Ob die Geschichte mythologisch,
historisch oder emotional ist, spielt keine Rolle. Obwohl ich dazu
neige, Texte zu schreiben, denke ich, daß der Sänger die
meisten Lyrics schreiben sollte, auch wenn ich ursprünglich
meist verschiedene Texte für die Songs geschrieben hatte. Als
das Projekt begann Formen anzunehmen, arbeiteten wir mit einem
Sänger namens Joe Alessi. Von ihm sind die Texte zu Physician
heal thyself, Immortality und Rain Down.
Als er uns verließ, hatten wir zuerst vor, diese Texte auch
weiter zu verwenden, denn sie waren ja schon stark auf die Songs in
dem damaligen Stadium zugeschnitten. Trotzdem haben wir uns dann
später entschlossen, einige zu ändern, so hat Mike dann
den Text zu Immortality neu geschrieben. Mein
Lieblingstext auf der CD ist Neither here or there. Ich
wollte eine Geschichte über eine Entführung durch Aliens
erzählen. Jemand wird bewußtlos gemacht, fortgebracht und
man macht Experimente mit ihm eben das typische Klischee. Nur
daß diesmal die Flucht nicht gelingt. In A Winters
Tale geht es um die Suche nach Unsterblichkeit, aber am Ende
muß der Held wie alle Menschen trotzdem sterben. Waterline
und Overland sind Geschichten über eine andere
Suche, die Suche nach Erleuchtung was Geist und Weisheit
betrifft. Rain Down ist Joe damals tatsächlich so
passiert. Er hat in einem Café gearbeitet und eine ziemlich
gutaussehende Frau hat dort ihren Regenschirm vergessen. Joe ist
natürlich hinterher, und als er sie endlich eingeholt hatte,
öffnete sich der Schirm plötzlich. Ziemlich komische
Situation. Ad Infinitum handelt vom Fall der Berliner
Mauer, ein Paradebeispiel für Veränderungen. All
Hallows Eve schließlich ist - wie du dir vielleicht
denken kannst ein Song über - Halloween.
Natürlich komme ich
nicht umhin, euch nach der Zusammenarbeit mit Roger Dean zu fragen,
auch wenn ihr im Booklet eurer CD schon einiges dazu geschrieben
habt.
CRAIG Roger ließ
uns die Wahl aus verschiedenen Arbeiten aus seinem zweiten Buch
Magnetic Storm. Keines dieser Bilder wurde zuvor
irgendwie kommerziell genutzt und unsere Wahl fiel auf dieses. Es
hat eine gewisse Kälte ist aber trotzdem voller Kraft. Bilder
von Wasser ziehen sich auch durch die gesamte Musik, und diese
Graphik entspricht diesen musikalischen Bildern am besten. Dazu
kommt, daß das Logo, das er für uns entwarf, so dynamisch
ist, daß hätten wir eines der lebhafteren Bilder
für das Cover gewählt es einfach zu viel geworden
wäre. Das Logo ist eindeutig eines seiner besten. Wir sind
Roger sehr dankbar, daß wir unser Musik mit seiner
phantastischen Malerei verbinden durften
TODD Um ehrlich zu sein,
das Cover, das wir wählten, war genau das, daß ich mir
schon immer für die CD vorgestellt hatte es paßt
einfach perfekt. Also, noch mal Danke, Roger!
Wie wird es mit Ad Infinitum
weitergehen?
CRAIG Es wird keine
drastischen Veränderungen mit dem nächsten Album geben,
das vermutlich im Jahr 2000 erscheinen wird. Wir haben zuviel Spaß
mit dieser Art von Musik und uns schwirren schon wieder so viele
neue Ideen im Kopf herum.
TODD Ich verspreche dir,
das nächste Album wird sogar noch mehr nach den Siebzigern
klingen. Die Songs werden dieses Selling England By the Pound
Feeling haben. Es wird majestätisch sein, und trotzdem
spontaner als die erste CD. Der erste Song ist schon fertig. Er
heißt The Sentinel Of Cydonia, eine Geschichte
über den Mars. Der Song hat ein riesiges Mellotron-Intro. Ich
kriege Gänsehaut, wenn ich es höre!